Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
versunkenen Gemeindemitglieder in goldenen Sonnenschein. Ich klinke mich wieder bei Barry ein und warte, dass er einen Wunsch für Stephanie äußert. Doch all seine Gedanken sind erfüllt von Annabel, seiner Mutter und der »armen lieben Molly«. Es ist ein trauriger Appell, und ich bin erleichtert, als er endlich ein langatmiges Bittgebet für sich selbst vorbringt. Er reichert es mit Anekdoten an: Gott, weißt Du noch, wie ich auf mein Arzthonorar verzichtet habe, weil dieEltern eines Kindes mit Gaumenspalte sich die Operation nicht leisten konnten? Siehst Du, was für ein guter Vater ich Annabel bin? Bedenke all meine Spenden zu wohltätigen Zwecken – Tausende und Abertausende von Dollar. Bitte erinnere Dich auch, dass ich Delfinas Lohn freiwillig erhöht und Lucy vergeben habe. Und vergiss nicht, dass ich ein guter Sohn bin. Der beste. Ich rufe meine Mutter jeden Tag an.
»Im Sturm des Windes und in der Kälte des Winters erinnern wir uns ihrer«,
sagt der Rabbi.
Erinnern
sie sich meiner wirklich? Können sie mein Lachen noch hören und meine Augen vor sich sehen? Wissen sie noch, welche Augenbraue höher stand? Wie meine Schokoladenkekse geschmeckt haben? Hören sie Chris Botti, Chris Matthews oder Chris Rock und denken:
Molly fand die Musik dieser Typen cool?
Mir reicht es. All dieses Erinnern kann ein Mädchen ganz schön deprimieren, wenn es nicht mal Aussicht auf Blinzes in saurer Sahne und gefüllt mit Quark oder Heidelbeeren am Ende dieses Fastentages hat; zumal es einzig darum geht, Gott ein weiteres Jahr voller Blut, Schweiß und Freudentränen abzuringen, ein weiteres schwindelerregendes Lebensjahr.
»Im Blau des Himmels und in der Wärme des Sommers erinnern wir uns ihrer«,
intoniert Rabbi Strauss Sherman, als Bob und ich entschwinden. Ehe ich gehe, blicke ich noch ein letztes Mal zurück.
Barry war den ganzen Tag lang hier, die Gebete dringen ihm aus allen Poren, doch er sieht immer noch verdammt schuldig aus.
37
Gewagte Mollyabilien
Lucy legt drei meiner Lieblingssachen aufs Bett. »Hat meine Schwester sich für eine Primaballerina gehalten?«, fragt sie sich. »Wozu braucht irgendeine Frau drei Spitzenröcke?«
Das ist doch wohl klar, wenn offenbar auch nur mir. Einer der Röcke besteht aus mehreren Lagen Tüll und sah toll aus zu flachen Schuhen und einem hochgeschlossenen Top, wenn ich mal auf Audrey Hepburn machen wollte. Ein anderer ist knöchellang, glänzend und passt zu dem hauchdünnen Oberteil, das Lucy erst noch finden muss, darin habe ich mich immer wie eine italienische Contessa gefühlt. Und der dritte ist ein goldenes Tussiteil, das weit oberhalb der Knie endet. Diesen Rock habe ich nur ein einziges Mal getragen, zu einer Party anlässlich der Oscarverleihung, auf der ich als Oscar der Transvestit den Preis in der Kategorie Bestes Kostüm gewann.
Ich erwarte gar nicht, dass Lucy all meine Prachtstücke zu schätzen weiß. Für meine Schwester ist Kleidung eine Notwendigkeit, Punkt.
Zugegeben, während ich Lucy so zusehe, vermisse ich nicht nur meine kritische, reizbare Schwester, sondern auch meine Kleider – wie schön war es, sie zu kaufen, darüberzustreichen, sie anzuziehen und so zu tun, als sei ich jemand anderes. Sogar den Anblick der Fashion Victims in den Frauenzeitschriften vermisse ich, über die ich mich oft lustig gemacht habe. Vielleicht waren Hohn und Spott doch unter meinen Sünden.
Alle paar Stunden ruft Lucy unsere Mutter an. »Was soll ich mit dem Kostüm machen, das Molly zu Annabels Namensgebung getragen hat?« Eine andere stillende Mutter hätte vielleicht Hosen mit Stretchbund und eine weite Tunika gewählt, farblich abgestimmt auf Babykotze. Doch ich trug dem Anlass zu Ehren ein Ensemble aus Etuikleid und langer Jacke in winterweißem Bouclé.
»Das möchte ich haben«, sagt meine Mutter. »Schick es hierher.« Sie wird es neben mein Hochzeitskleid hängen und hoffen, dass es noch nach meinem Parfüm riecht. Was mich auf die Frage bringt: Wäre mein Schicksal anders verlaufen, wenn ich, sagen wir mal, »Paris« von Yves Saint Laurent benutzt hätte statt »Eter nity « von Calvin Klein?
»Und der geschorene Bibermantel, den du ihr im letzten Schuljahr gekauft hast? Er riecht schon muffig.«
»Vielleicht will ein Wohltätigkeitsverein ihn noch haben.«
»Und die Schiffsladung schwarzer Hosen?« Lucy kann sich nur wundern, wozu ich zehn Exemplare brauchte. Ich trug sie alle, billig, teuer, aus Gabardine, Seide oder Cord, weit oder eng, auf
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