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Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Titel: Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Koslow
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der Hüfte sitzend oder hoch geschnitten, und am liebsten die aus Karl Lagerfelds H & M-Kollektion für 59   Dollar, da habe ich mich jedes Mal, wenn ich sie anhatte, wieder über den Preis gefreut.
    »Also ehrlich, Lucy«, sagt meine Mutter, die sich langsam ärgert. »Wieso kannst du so was nicht selbst entscheiden?« Eigentlich sollte es gar nicht so bissig klingen.
    Dies ist der zweite Tag der Aufräumaktion. Lucy hat Delfina schon einen Haufen Handtaschen und Pullover geschenkt. Heute kam Delfina mit einer farbenfrohen Designertasche zur Arbeit statt mit ihrer verlässlichen großen Handtasche aus Nylon. Ich hoffe, sie sieht mal in die kleine Innentasche, dort steckt noch ein Zwanzigdollarschein.
    Für Lucy ist es ein Triathlon, der Konzentration und Ausdauer verlangt. Weil Annabel die weltlichen Besitztümer ihrer Mutter nicht wie für den Flohmarkt ausgebreitet herumliegen sehen soll, beschränkt Lucy das Ausräumen auf die Zeit, in der meine Tochter nicht da ist.
    Barry hat meine Schwester noch gar nicht zu Gesicht bekommen. Sie wohnt in einem Hotel an der Madison Avenue, wo sie den gestrigen Abend damit zugebracht hat, bei einem Ausscheidungsspiel der Baseball World Series Aal-Sushi zu essen. Heute Morgen ist sie durch den Central Park gelaufen und hat diesenPower-Walk genau so eingerichtet, dass sie ankam, als Annabel schon auf dem Weg zum Kindergarten war.
    Annabel wird noch Stunden weg sein, doch jetzt eilt Lucy mit einer großen Tragetasche in der Hand aus dem Haus. Die U-Bahn fährt gerade ein, als sie die Treppe hinunterrennt. Ja!! Ich habe es immer als ein Zeichen des Himmels angesehen, wenn der Gott des Massenverkehrs mir gnädig gestimmt war. Dummerweise habe ich aber auch in Dinge mit umgekehrtem Vorzeichen Bedeutung hineingelesen, wenn ich zum Beispiel neben einem Typen saß, der allem Deodorant abgeschworen zu haben schien, oder wenn ein Teenager, den ich versehentlich streifte, sofort
motherfucka
schrie.
    Am Columbus Circle steigt Lucy aus. Brie hat ihr alle möglichen Restaurants vorgeschlagen – The Little Owl, Pastis, Le Cirque   –, doch Lucy hatte gegen jedes etwas einzuwenden: zu weit weg, zu französisch, zu affektiert. Hauptgerichte zu vierzig Dollar, Steaks mit Stammbaum, ausgestopfte Tiere als Deko, schneeweiße Trüffel beeindrucken meine Schwester nicht. Frozen Yoghurt war der letzte Trend in puncto Essen, den sie mitgemacht hat. Aber hier geht’s natürlich nur um eins: Stolz und Vorurteil. Lucy will auf Augenhöhe mit Brie sein und nicht erleben, dass die mit einem Maître Küsschen tauscht oder eine schwarze American-Express-Karte zückt und darauf besteht, die Rechnung zu übernehmen. Lucy würde eher Kröten schlucken, als Brie für sich zahlen zu lassen.
    Die beiden haben sich schließlich auf ein kleines Café in einer Einkaufspassage mit Blick auf den Central Park geeinigt. Lucy ist früh dran und wartet. Und wartet. Ich würde Lucy gern sagen, dass sie genauso gut in der Buchhandlung Borders einen Stock tiefer noch die ersten zwei Kapitel eines Romans lesen könnte. Es wird eine Weile dauern.
    Wie vorauszusehen, kommt Brie zwanzig Minuten zu spät. Als sie winkend auf der Rolltreppe erscheint, ist die Miene meiner Schwester bereits zu einer Grimasse erstarrt.
    »Tut mir leid«, sagt Brie leichthin und lächelt. »Ich habe keinTaxi bekommen.« Lügnerin. Sie hat sofort eins gefunden, als sie vor acht Minuten aus ihrem Büro trat. Ich hatte gelernt, mit der Brie-Zeit zu leben, doch in Lucys Augen ist ein Mensch, der zu spät kommt, ein ebensolcher Sünder wie einer, der seines Nachbarn Ochsen begehrt.
    Brie zögert, ob sie Lucy zur Begrüßung auf die Wange küssen soll. Doch da ist der Moment schon vorbei. »Schön, dich zu sehen«, sagt Brie, etwas zu fröhlich.
    »Ebenso«, gibt Lucy zurück, als sie an einen langen tresenartigen Tisch gehen und sich auf hohen Hockern einander gegenübersetzen. Brie und Lucy sind fast gleich groß, Brie wirkt jedoch wie eine Champagnerflöte gegen meine stämmige Schwester. Ich kann mich nicht erinnern, ob die beiden schon mal miteinander allein waren, abgesehen von meiner Beerdigung und Schiwe. Jedenfalls waren sie nie zusammen essen ohne mich als Vermittlerin.
    Lucy beschließt, gleich zur Sache zu kommen. »Ich dachte, diese Kleider hier hättest du vielleicht gern«, sagt sie und schiebt ihre Tragetasche zu Brie hinüber.
    Brie mustert die Tasche unangenehm berührt, so als könnte mein Kopf darin stecken.
    »Komm schon, Brie«,

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