Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
Vorzeichen. Aber da musste ich nicht lange nachdenken. Die Treenas regieren diese Welt.
Mitten in der Nacht schreckte ich aus einem Traum auf, die Zähne so fest zusammengebissen, dass mir die Kiefer schmerzten. Ich streckte den Arm nach Barry aus, und wir liebten uns mit ganz untypischer Wildheit und Hingabe. Ich sah ihm in die Augen. Und was ich sah, war das Gesicht von Luke.
»Mehr, Molly, mehr!«, stöhnte Barry bei jedem Stoß. »Ja, ja!«
»Nein!«, dachte ich, während ich ihm das Becken entgegenreckte und mit den Hüften kreiste. »Nein!«
Am nächsten Morgen brachte Barry mir das Frühstück ans Bett – Eiskaffee und ein Schokoladencroissant, auf unserem Hochzeitsgeschirr, dessen blauer Rand perfekt mit dem Farbton der Hyazinthe in der kleinen Vase harmonierte.
Am Montag beantwortete ich weder Lukes Anrufe noch seine SMS oder I M-Messages , und auch am Dienstag und Mittwoch nicht. Für Donnerstag hatten wir eine Besprechung angesetzt, bei der ich mich so unerträglich höflich benahm, als wäre ich zum Teebei der First Lady eingeladen. Was Luke mir gleich danach genau so sagte. »Möchtest du darüber reden?«, fragte er.
»Was gibt’s da zu reden? Du gehst mit meiner Assistentin aus, diesem Spatzenhirn; und da wir schon bei Winzigkeiten sind – du warst nicht mal Manns genug, mir das zu sagen.« Ja, mir wäre es auch lieber, wenn ich die zweite Hälfte dieser Bemerkung bloß gedacht hätte, aber ich habe sie tatsächlich ausgesprochen.
»Das hat sich einfach so ergeben«, erwiderte er.
»Da Silvano erfordert Planung. Da muss man reservieren.«
»Sie hat mich eingeladen.«
»Du hast nicht abgelehnt«, bemerkte ich.
»Ich weiß nicht genau, wieso wir dieses Gespräch überhaupt führen.«
Weil ich dich ganz für mich allein haben will, obwohl ich verheiratet bin und wir beide eigentlich bloß Freunde sind?
Luke sah mich erwartungsvoll an, aber ich war noch nicht so weit, durch diese Tür zu treten. Einzig über mein Unbehagen war ich mir vollkommen im Klaren.
»Es gibt auch keinen Grund, Luke«, sagte ich, zwang mich zu einem Lachen und versuchte so zu tun, als hätte ich meinen Sinn für Humor wiedergefunden. »Ich bin eben eine besitzergreifende Zicke. Mir wär’s einfach lieber gewesen, du hättest mir das mit Treena erzählt. Nicht, dass du dazu verpflichtet gewesen wärst. Aber sie ist nun mal meine Assistentin, verdammt.«
»Danke, Molly Marx, dass du meinem Liebesleben deinen offiziellen Segen erteilst.« Er legte einen besonders ätzenden Sarkasmus in diese Worte.
»Luke, das reicht«, erwiderte ich. »Einigen wir uns darauf, dass ich mich kindisch aufgeführt habe. Wie eine egozentrische Idiotin. Tut mir leid.«
»Falls du nicht was ganz anderes im Sinn hattest.« Jetzt war sein Gesichtsausdruck herausfordernd.
»Was zum Beispiel?« Ich hatte keine Ahnung, woher diese schnippische Antwort plötzlich kam.
»Du hast ein Problem, Molly, du weißt nicht, was du willst oder mit wem du es willst«, sagte er, zuckte die Achseln und ging davon. Zwei Tage später schickte er mir eine freundschaftliche SMS, so als wäre alles wieder völlig normal. Doch das war es nicht, das wusste ich natürlich. Alles hatte sich geändert.
12
Küsschen, Küsschen
»Da ist Snuffleupagus, Mommy«, sagte Annabel, wann immer wir an dem großflächigen grauen Granitvorsprung am Central Park vorbeikamen. Doch heute, an Delfinas fester, schmaler Hand, wird der Elefant, der die Phantasie meiner Tochter beherrscht, keines Blickes gewürdigt. Wie ein Soldat marschiert sie voran, schweigsam und ernst.
Delfina und Annabel betreten den Fahrstuhl unserer Synagoge, wo sie auf die Leiterin des Kindergartens treffen, die sich sogleich auf die Höhe einer Vierjährigen herunterbeugt. »Wir freuen uns ja alle so, dass du wieder da bist, Annabel«, sagt sie. »Wir haben dich vermisst.«
Annabel, die diese Frau stets mit einem fröhlichen Lachen begrüßt hat, beißt sich auf die Lippen und erwidert nichts. Als Delfina und sie die Tür zum Gruppenzimmer im sechsten Stock erreichen, dreht Annabel sich zu Delfina um. »Muss ich?«, fragt sie.
»Deine Freunde möchten mit dir spielen«, erwidert Delfina. »Und du musst in den Kindergarten gehen, das ist dein Job. Wir haben alle unseren Job.«
In Annabels Gesicht steht der besorgte Ausdruck einer kleinen alten Frau. Ich warte auf Tränen.
»Deine Puppen?«, fragt Delfina. »Musst du an deine Puppen denken?«
Annabel nickt.
Delfina bückt sich und flüstert mit ihr.
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