Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
einer würzig-scharfen Sauce und einem Korb krosser Plantainbananenchips. Wir knabberten und tranken, während die Sonne am Horizont langsam in das leise plätschernde Meer sank. Im Hintergrund spielte Steelband-Musik, deren entspannter Rhythmus uns auf den Abend einstimmte. Schon bald konnten wir die Sterne am nachtblauen Himmel zählen, und auf jedem Tisch des Restaurants neben der Bar leuchtete eine dicke Kerze. Es war einer jener Augenblicke, in denen mich der Gedanke beschlich, ich müsste die Zeitschrift eigentlich dafür bezahlen, dass ich für sie arbeiten durfte. Dieser Abend war wie eine Auszeit im Paradies.
Der Maître führte uns an einen Tisch nahe am Sandstrand. Ich nippte an meinem Champagner – ein Geschenk des Hauses als Dank dafür, dass wir in der tiefsten Nebensaison gleich sechs Zimmer gebucht hatten –, und auf einmal wurde mir klar, dass ich schon seit Wochen nicht mehr so entspannt gewesen war. Nein, noch länger, viel länger.
Luke und ich gingen die Details für morgen durch und machten Pläne für sehr viel mehr Fotosets, als wir je an einem Tag unterbringen konnten. »Immer vorausgesetzt, die Koffer tauchen auf«, sagte ich.
»Warum machst du dir bloß so viele Sorgen?«, fragte Luke. Und für den Fall, dass ich ihn irgendwie nicht verstanden haben sollte, sang er mit seinem besten karibischen Akzent:
»Don’t worry, be happy.«
»Mir Sorgen zu machen ist mein Job«, erwiderte ich.
»Du machst das gut«, sagte er. »Deinen Job, meine ich, nicht nur die Sorgen.«
»Du deinen auch.« Wir stießen mit unseren Champagnerflöten an.
Luke und ich waren, was jeder in der Branche bestätigte, schnell zu einem hervorragenden Team geworden. Er war die heiße Schokoladensauce auf meinem Vanilleeis, und zusammen wurden wir besser als jeder von uns allein. Eine andere Zeitschrift hatte unssogar schon angeboten, uns zum Jahresende aus unserem alten Vertrag herauszukaufen.
Seit wir zusammenarbeiteten, machte mir mein Job so viel Spaß wie nie zuvor. Menschen, die nicht dauernd ihre Kreativität ausloten müssen, können vermutlich gar nicht nachempfinden, welches Hochgefühl es einem beschert, wenn man seinen Phantasien freien Lauf lassen kann; aber für mich war das alles äußerst wichtig. War ich vor ein paar Monaten innerlich schon so weit gewesen, meinen Job aufzugeben, wachte ich jetzt mitten in der Nacht auf und schrieb Ideen nieder, die mir im Traum gekommen waren. Die Hälfte davon war ganz brauchbar. Nach einem Ausflug mit dem Fahrrad, bei dem meine Gedanken immer weit umherstreiften, rief ich gewöhnlich Luke an und sagte ihm, dass ich jetzt
haargenau
wüsste, was wir für das nächste Shooting brauchten, bis hin zu den antiken vergoldeten Serviettenringen, der Farbe der Papageientulpen und der Anzahl mandelgefüllter Oliven in einer Schale.
Als wir uns nach dem Essen – wir hatten beide Pompano bestellt, ein köstlicher Fisch – noch ein Kokosnuss-Sorbet auf eisblauem Teller teilten, wurde die Musik von einem Sänger abgelöst, der Songs sang, wie sie meine Eltern im Autoradio hörten. Was ihm an Talent fehlte, machte er mit Begeisterung wett. »Der nächste Song ist für alle Verliebten unter uns«, verkündete er, und sein Goldzahn blitzte. Luke und ich hatten beide das dümmliche Lächeln von Leuten im Gesicht, die den Alkoholtest garantiert nicht bestehen würden.
» Do you wanna dance under the moonlight?
«, sang der Mann schmachtend und kreuzte in seiner Darbietung unbekümmert die Beach Boys mit John Lennon, nur der Calypso-Beat war ganz sein eigener. Er tänzelte auf uns zu und winkte Luke und mir, uns auf die winzige, leere Tanzfläche zu begeben. Luke stand auf.
Ich zögerte, denn ich traute mir selbst nicht. Was würde ich tun in Lukes Umarmung? Doch sein Blick zog mich zu ihm. Ich stand ebenfalls auf und trat auf ihn zu, nicht ohne in meinen hochhackigenSandaletten zu stolpern. Er fing mich auf und drückte mich an sich. Ich konnte seinen Herzschlag spüren, und ein paar Minuten später bemerkte ich, dass unsere Herzen bereits im selben Takt schlugen. Er fühlte sich angenehm warm an und roch nach einem zitronigen Aftershave, dem ihm eigenen Körpergeruch und nach Papayaduschgel. Ich schwankte in seinen Armen – ich war mehr als nur ein wenig beschwipst –, legte meinen Kopf an seinen Hals und versuchte, den anderen Duft zu identifizieren, den ich noch an ihm wahrnahm. Welche Basisnote hatte er? Ich kannte diesen Duft doch. Als der Song zu Ende ging, hatte
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