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Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Titel: Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Koslow
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Geschmack.
    »Lucy, wo waren Sie an diesem Tag?«, fragt Hicks.
    Meine Schwester hat den Eindruck, dass in der Frage ein drohender Unterton liegt, will dem Detective gegenüber aber keine offene Feindseligkeit zeigen. »Unterwegs«, sagt sie in einem sachlichen Tonfall, der nichts verrät. Hicks’ Miene fordert sie auf, weiterzusprechen, und Lucy tut es. »Ich wollte zum Snowboarden, nach Wisconsin, mit ein paar anderen Lehrern. Dahin war ich unterwegs, als ich Moms Anruf bekam, und bin gleich wieder umgekehrt. Am nächsten Tag habe ich die erste Maschine nach New York genommen.«
    Ein Alibi, das keins ist,
denkt Hicks.
    Plötzlich habe ich das Bedürfnis, dieses überhitzte Zimmer zu verlassen und meine Jenseits-Babycam noch einmal auf Annabel zu richten. Als ich heute Morgen bei ihr hineingesehen habe, hat sie geschnieft. Hat Barry ihr gezeigt, wie man sich die Nase putzt? Sie dazu gebracht, warmen Tee mit Honig zu trinken? Mir ist es immer gelungen, sie zu ein paar Schlückchen zu überreden, vor allem wenn ich die geblümten Teetassen meiner Großmutter benutzt und ihren kleinen Tisch mit dem blauen Puppengeschirr gedeckt habe. Aber nein, ich sollte besser hier zuhören, hier gehöre ich im Moment hin, genauso wie die grüne Tanne vor das Haus meiner Eltern.
    »Mr.   Hicks«, sagt Lucy mit der ihr eigenen Autorität und alshätte sie es mit einem Vierjährigen zu tun. »Jetzt mal ehrlich, wie weit sind Sie in Mollys Fall? Haben Sie bereits irgendwelche Verdächtige?«
    Das ist eine Frau, die weiß, was sie will, und nicht aufgibt,
denkt Hicks,
eine Frau, für die ein Mangel zu einer Stärke werden kann und Stärke zu einem Mangel.
»Es ist noch etwas früh für ›Verdächtige‹«, erwidert er. »Aber mich interessiert natürlich, wie Sie die Dinge sehen.«
    »Das ist doch offensichtlich«, sagt sie. »Da wäre zum Beispiel der Ehemann   –«
    »Lucy!«, ruft meine Mutter, als hätte Lucy heraustrompetet, dass der Gast gefurzt hat. »Du sprichst von unserem Schwiegersohn.«
    »Mrs.   Divine«, sagt Hicks ruhig. »Bitte.« Mit seinen braunen Augen fixiert er meine Schwester. »Was wissen Sie?«
    Ich höre Atemzüge, und Hicks denkt, dass sie nichts weiß, aber mit ihrem Hass auf diesen armen Teufel Barry nicht zurechtkommt. Wahrscheinlich hätte sie jeden Mann gehasst, den ihre Schwester heiratet.
    »Meine Eltern hören das nicht gern, Detective«, beginnt sie schließlich, »aber es war eine Ehe   … mit Problemen.« Mein Vater sieht aus dem Fenster. Inzwischen fallen dichte weiße Schneeflocken.
    »Und diese Probleme waren groß genug, um so hässlich zu enden?«, fragt Hicks. Wie bitte?
Hässlich?
Das ist wohl das Understatement der Woche! »So gewalttätig?«
    »Wer weiß«, sagt Lucy. »Meine Schwester musste eine Menge   –«, sie sieht unsere Eltern an und mäßigt ihre Ausdrucksweise, »Mist aushalten.« Unsere Eltern blicken sie immer noch finster an. »Aber das geht mich natürlich nichts an«, fügt sie noch hinzu und sinkt in die Ecke des Sofas zurück, um ihren Rückzug unmissverständlich deutlich zu machen. Wieder breitet sich Schweigen aus.
    »In Fällen wie diesen«, ergreift Hicks schließlich das Wort,»dürfen Sie nicht erwarten, dass uns ein roter Teppich ausgerollt wird, der uns direkt zu den Umständen des Todes führt.« Während er spricht, bleibt sein Blick an einem Foto hängen, auf dem drei Generationen Divines zu sehen sind: Tanten, Onkel, Cousins und wir – aufgenommen am fünfzigsten Hochzeitstag meiner Großeltern. Lucy und ich waren vierzehn. Alle lächeln in die Kamera, nur meine Schwester nicht, die vorwurfsvoll mich anstarrt. Das ist mir noch nie aufgefallen – ich war immer ganz auf mich selbst konzentriert, unglücklich über mein gepunktetes Kleid aus der Kinderabteilung, während Lucy ein schwarzes Etuikleid in Damengröße bekommen hatte. Jetzt frage ich mich, was ich wohl gesagt oder getan haben mochte, um sie so aufzubringen.
    »Detective Hicks«, sagt Lucy, da er nicht weiterspricht, »wie wär’s denn mit einer kleinen Ausfahrt? Dann lernen Sie mal die Gegend hier kennen.«
    »Wenn es Ihnen keine Mühe macht«, erwidert Hicks, der ganz froh ist, sie allein sprechen zu können.
    »Also los«, sagt sie, klimpert mit dem Autoschlüssel und schenkt ihm das Lächeln, das sie sonst nur für Automechaniker und ihre besten Schüler reserviert hat.
    Hicks ruft das Taxiunternehmen an und verschiebt seine Rückfahrt um anderthalb Stunden. Lucy beginnt mit einer

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