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Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Titel: Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Koslow
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bitte, wo Sie waren, als Sie die traurige Nachricht erhalten haben.«
    »Schon in der Arbeit«, sagt mein Vater. »Ich fange früh an. Claire – meine Frau hat mich an dem Morgen sofort angerufen, als sie es von Barry erfahren hatte.« Er drückt die Hand meiner Mutter.
    »Ich konnte kaum ein Wort verstehen von dem, was Barry sagte«, fügt meine Mutter hinzu. Nach achtunddreißig Ehejahren sind die beiden wie eine Vinaigrette, und nicht mehr hier Öl und dort Essig. Sie bemerken gar nicht, dass sie die Sätze des anderen ergänzen oder beenden.
    »Claire erkannte schon an Barrys Stimme, dass etwas passiert war«, sagt mein Vater.
    »Annabel, dachte ich – unserer Kleinen ist etwas zugestoßen.« Meiner Mutter treten Tränen in die Augen, und mein Vater zieht sie an seine breite Brust. Wenn ich doch auch nur noch einmal den Trost seiner leicht verschwitzten Umarmung spüren könnte.
    »Ich bin gleich nach Hause gefahren, zu Claire«, sagt er. Seine Stimme, die anfangs laut und kräftig gewesen ist, wird immer leiser. »Um acht kamen wir in New York an.«
    »Da wussten wir das Schlimmste schon«, sagt meine Mutter. »Ein paar Stunden lang ließ Barry uns die Hoffnung, dass sie noch zu retten wäre. Doch kurz bevor wir an Bord gingen, rief er an und sagte uns die Wahrheit.« Sie denkt an den Flug, auf dem sie blind in den gleichgültigen Himmel hinausstarrte, der schnell dunkler wurde. Schwebte ich dort draußen wie ein verirrter Ballon durch den Kosmos, eine losgelöste Seele? Es war ein böser Traum, der immer noch schlimmer wurde für uns alle.
    Hicks hört geduldig zu, während meine Eltern ihm bis ins kleinste quälende Detail den unvorstellbarsten Tag ihres Lebens schildern, an dem gegen alle Gesetze der Natur ihre Tochter gestorbenist, und vermutlich durch die Hand eines anderen. Dass diese Hand ihre eigene war, können sie sich nicht vorstellen. Hatte ein Fremder mich an eine entlegene Stelle am Fluss gelockt? War ich mit jemandem verabredet, den ich kannte und dem ich vertraute? Habe ich einfach die Kontrolle über mein Fahrrad verloren? War ich einen Moment lang geistig unzurechnungsfähig, so dass ich absichtlich auf den Fluss zufuhr, vielleicht in dem Versuch, mich zu ertränken? (Diese letzte Theorie kommt von Lucy.) Sie unterhalten sich so lange, dass sie schon ganz erschöpft sein müssten, doch plötzlich verdunkelt sich die Stimme meines Vaters, als würde jeden Augenblick ein Gewittergrollen aus ihm herausbrechen.
    »Ich will nur eines, Detective«, sagt er, und sein Gesicht läuft gefährlich rot an, »und zwar, dass Sie diesen gottverdammten Scheißkerl schnappen, der das getan hat.«
    Lucy zuckt zusammen, doch er fährt fort.
    »Da draußen läuft ein Mörder herum«, ruft mein Dad. »Meine Tochter ist tot. Unsere Enkelin hat ihre Mutter verloren. Wir gehen durch die Hölle. Nichts in unserer Familie wird je wieder sein, wie es gewesen ist. Irgendwo läuft dieses Schwein herum, und Sie, mein Freund, müssen es finden. Habe ich mich deutlich ausgedrückt? Geben Sie mir Ihr Wort, dass der Tod meiner Tochter Molly nicht bloß ein weiterer ungeklärter Todesfall ist, den Sie eine Woche lang oberflächlich untersuchen und dann wegen eines aufregenderen Falls zu den Akten legen?«
    Hicks hört zu, antwortet aber nicht. Dieser Mann ist noch nicht fertig, das weiß er.
    »Werden Sie alles in Ihrer Kraft Stehende unternehmen, um den Mörder zu finden?« Die Stimme meines Vaters wird mit jedem Wort lauter, so als hielte jemand die Lautstärketaste gedrückt. Doch auch jetzt, da er sein Anliegen losgeworden ist, fühlt er sich nicht besser.
    »Ich kann Sie verstehen, Mr.   Divine«, sagt Hicks, den der Schmerz meines Vaters nicht gleichgültig lässt.
Ich will den Mörder
finden,
sagt er sich selbst. Falls es einen gibt. »Sie haben mein Wort, Sir.« Und dann dreht er sich zu Lucy um.
    Keine Ähnlichkeit mit der Molly von den Bildern, denkt er, sie ist größer, kräftiger, wirkt härter. Breiter Mund, volle sinnliche Lippen – voller als die der meisten weißen Frauen – und fleckig rot, als hätte sie gerade an einem Lolli gelutscht. Benutzt vermutlich lieber einen Pflege- als einen Lippenstift. Abgekaute Nägel. Kleine Fältchen in den Augenwinkeln, nicht unattraktiv. Wilde Mähne – da kommt sicher kaum ein Kamm durch, zwei Farbtöne dunkler als Cider. Eine Frau, die mit dem Alter gewinnen wird, vermutet er, solange die Schwerkraft gnädig ist zu diesem Busen. Der zu mütterlich ist für seinen

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