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Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben

Titel: Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Koslow
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dachte an das Credo meines Vaters:
Mach ruhig Fehler – nur mach nicht wieder und wieder den gleichen Fehler.
Warum sollte nicht auch ich mich an diese Philosophie halten? Vielleicht, weil in meinem Hirn ein etwas zynischerer Gedanke herumgeisterte und um Aufmerksamkeit buhlte?
Wenn du im Leben eine zweite Chance bekommst, mach den gleichen Fehler wieder – nur warte nicht wieder so lange.
    Ich schüttelte die Kissen im Wohnzimmer auf und richtete die Rosen in der Vase. Mir blieben immer noch ein paar Minuten, und so blätterte ich gedankenverloren im Kunstteil der ›New York Times‹, bis der Pförtner anrief und mir ankündigte, dass ein Mr.   Delaney für mich eingetroffen sei. Auf dem Weg zur Tür warf ich einen Blick auf mein Spiegelbild. Die Frau, die ich sah, wirkte bemüht. Hoffentlich bemerkte nur ich das.
    »Für dich.« Luke strahlte übers ganze Gesicht und reichte mir einen großen Strauß dunkelroter Anemonen. Seine Lippen streiften zur Begrüßung meine Wange. Es gefiel mir, dass er keinen Duft aufgelegt hatte. Er brauchte keinen. »Und für die andere Lady   …« Aus einer Tragetasche zog er einen in hellrosa Geschenkpapier eingeschlagenen Karton, der mit einem orangefarbenen Seidenband umwickelt war.
    Ich stellte das Geschenk auf den Couchtisch. »Die andere Ladymuss erst ausschlafen, sonst wird sie gar keinen guten Eindruck machen«, sagte ich und hängte Lukes extralangen Burberry neben Barrys normallangen Mantel in den Garderobenschrank.
    Lukes Haar war länger, als ich es in Erinnerung hatte; am liebsten hätte ich es ihm gleich verwuschelt. Und er hatte anscheinend etwas abgenommen, denn seine Wangenknochen traten markant hervor. Er trug einen Pullover mit V-Ausschnitt in der Farbe von Glyzinien, was an den meisten Männern eher fragwürdig gewirkt hätte. Doch an Luke betonte es nur das Blau seiner Augen.
    »Wie schön zu sehen, dass deine Wohnung noch nicht zu einem Spielzeugladen verkommen ist«, sagte er in seinem vertraut ironischen Ton. »Mein Bruder und meine Schwägerin dürften zurzeit das größte Lager an Fisher Price weltweit haben.«
    Da ich den Rest ihrer Besitztümer in alle verfügbaren Schränke gestopft hatte, war nur ein Korb mit Annabels vorzeigbarsten Spielsachen zu sehen. »Komm in einem Jahr wieder, dann reden wir weiter«, erwiderte ich. Annabel besaß bereits eine geradezu obszöne Anzahl grellfarbiger Plastikspielzeuge, die außer Rülpsern jedes erdenkliche Geräusch von sich gaben, und ihre Kommodenschubladen quollen über von Anziehsachen, aus denen sie herausgewachsen war, ehe sie sie einmal getragen hatte. Es war wirklich peinlich, wie die Familie Marx im Alleingang das Bruttosozialprodukt zu steigern versuchte, doch ich brachte es einfach nicht fertig zu sagen: »Es reicht«, und schon gar nicht zu Kitty, meinen Eltern, Lucy oder Brie.
    »Sie sieht genau aus wie du«, sagte Luke, der ein Foto von Barry und mir in bequemen Hausklamotten zur Hand genommen hatte, auf dem wir eine frisch gebadete, zwei Monate alte Annabel im Arm hielten.
    »Vor allem, wenn man sich vorstellen kann, wie ich mit nacktem Babypopo aussehe.« Noch in dem Augenblick, als ich sie aussprach, erschien mir diese Bemerkung zweihundertprozentig zu intim.
    Luke folgte mir in die Küche, wo ich die Blumen in eine Vasestellte. Ein paar Minuten später setzten wir uns zum Essen. Er erzählte mir von seinen letzten Fotoshootings – in Santa Fe, Prag, Sydney – und von dem Atelier, das er zusammen mit einem Partner, einem Simon Sowieso, in Brooklyn gekauft hatte. Ich verbreitete mich darüber, wie gut Annabel durchschlief, dass ich mindestens zehn neue Kabelfernsehkanäle entdeckt hatte und warum ich nach längerem Nachdenken beschlossen hatte, die Bio-Baby-Nahrung für sie nicht mehr selbst zu kochen.
    »Gefällt dir das – zu Hause beim Kind zu bleiben?«, fragte er nach etwa zwanzig Minuten. Ich suchte sofort nach einem versteckten Anzeichen von Herablassung. Bei Männern in meinem Alter konnte man nie sicher sein, welche Haltung sie in der Frage, ob eine Mutter nach Hause gehörte, einnahmen. Selbst eingefleischte Ökos, die jedes Fitzelchen recycelten, und überzeugte Liberale, die das Recht auf Abtreibung befürworteten und gegen den Irakkrieg waren, waren zu polemischen Breitseiten fähig, die, etwas abgekürzt, besagten, dass eine Mutter jedes Erdnussbuttersandwich selbst schmieren müsse, bis die Kinder ihre Doktorarbeit geschrieben hatten – vor allem, wenn es bei der Mutter um

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