Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
uns alle einiges an Kraft kosten und Energien von der Suche nach dem Schwein abziehen, das für den Mord an Molly verantwortlich ist. Ja, Mord. Es muss Mord gewesen sein.
Ist hier in diesem Zimmer ein Mörder?
Diese Frage rattert durch Bries Gedanken. Sie dreht sich zu Barry um und spricht langsam und leise, eine ihrer gerissensten Prozesstaktiken. »Barry, wir sollte auch an Molly denken. Du weißt, es wäre ihr nicht recht gewesen, wenn wir ihre Schwester in Schwierigkeiten bringen, egal, wie unverzeihlich sie gehandelt hat. Molly hätte gewollt, dass du mit Lucy darüber sprichst und die Dinge klärst. Privat. Diskret.«
Lucy sollte bekommen, was sie verdient, und Molly war ein Schwächling,
denkt Barry. Ich hatte immer vermutet, dass er das denkt! Aber es jetzt tatsächlich von ihm zu hören, tut schon weh. Stephanie stuft mich noch eins weiter herunter, zu einer
Idiotin
, und schiebt gleich ein
verwöhntes Luder
hinterher. »Also wirklich«, sagt sie. Der Wein hat ihr Mut gemacht und ihrer Haut einen rosigen Ton verliehen, der nicht unattraktiv ist. »Das ist doch Unsinn. Das einzig Richtige wäre, die Polizei anzurufen. Tut mir leid, wenn ich das so direkt sage, aber wir sollten unser Urteilsvermögen nicht von Sentimentalitäten trüben lassen.«
Brie, Barry und ich, wir alle verstehen den versteckten Sinn dieser Worte: Es ist doch völlig egal, was Molly gewollt hätte. Sie ist tot.
»Stephanie«, sagt Brie eisig, »man sollte es nicht übertreiben. Und das sage ich jetzt als Anwältin. Hier handelt es sich um eine Familienangelegenheit.«
Und Sie sind kein Mitglied der Familie,
schleudert sie Stephanie wortlos an den Kopf, mitten zwischen die sorgfältig geschminkten braunen Augen, die sich zu Schlitzen verengen.
Du selbst aber auch nicht,
schlägt Stephanie zurück. »Und ich sage als Freundin der Familie – und als Therapeutin –, dass es verantwortungsvoll, vernünftig und klug wäre, die Polizei anzurufen.«Sie spricht jedes Adjektiv betont langsam aus. Diese Frau sollte man nicht unterschätzen.
Unter anderen Umständen würde sich Barry zurücklehnen und diese Szene genießen, ja, die beiden sogar zu einem richtig altmodischen Zickenkrieg anstacheln. Aber heute nicht. Er weiß, wen er anrufen muss. Die Person, die er schon vor zwei Stunden hätte anrufen sollen. »Entschuldigt mich einen Moment«, sagt er und verschwindet ins Schlafzimmer.
»Kitty, du glaubst nicht, was passiert ist.« Und dann erzählt er seiner persönlichen Elitesicherheitseinheit die Sensationsnachricht der Woche. Als er fertig ist und gewissermaßen bloß noch zehn Jahre alt, holt er tief Luft. »Was meinst du? Soll ich die Polizei anrufen?«
Ich sehe, wie er bleich wird, als er ihre unverblümte, instinktive Anweisung hört. Er legt auf und kehrt ins Wohnzimmer zurück.
»Und?«, sagt Stephanie.
»Meine Damen, Kitty Katz hat gesprochen, und wie immer hat sie recht«, verkündet er. »Polizei bedeutet Aufmerksamkeit der Presse, der Boulevardpresse, und das würde meiner Praxis schaden.« Er lacht, doch irgendwie unfroh. »Ich werde mir zusammen mit den Divines etwas überlegen.«
»Du willst gar nichts tun?«, platzt es aus Stephanie heraus, dass ein Speicheltröpfchen bis auf Bries Ärmel fliegt. Die wischt es weg. Unbeirrt verschränkt Stephanie die Arme vor der Brust, in einer Pose, die sie bestimmt einstudiert hat, damit ihre Oberweite zu größtmöglicher Geltung kommt. Eine Oberweite, die, wie Brie und ich beide vermuten, wohl schon von den geschickten Chirurgenhänden des Dr. Barry Marx profitiert hat.
»Vorerst nicht«, erwidert Barry und sieht auf die Uhr. »Ent schuldigt , aber ich muss los, meine Tochter abholen.«
Stephanie sieht Barry mit bohrendem Blick an, damit er sie bittet, ihn zu begleiten. Oder sie sogar bittet, Annabel und ihn zum Sederabend bei seiner Mutter zu begleiten, ein Vorhaben, das ervöllig vergessen zu haben scheint. Barry tut weder das eine noch das andere. »Also, bis bald«, sagt er bloß.
Brie umarmt Barry und drückt ihm die Hand. »Wir sprechen uns«, sagt sie, dreht sich um und geht.
Eine Minute später stehen Brie und Stephanie schweigend Seite an Seite vor dem Fahrstuhl. Als sie einsteigen, sind sie immer noch allein. Brie sieht Stephanie direkt an und stellt ihr die Frage, die ihr schon die letzte halbe Stunde keine Ruhe lässt. »Haben Sie eigentlich schon vorher oder erst nachher etwas mit ihm angefangen?«
Klasse, Brie. Klasse! Hier ist ein entschwundener Geist,
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