Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
Hicks sieht etwas ganz anderes,als sein rascher, aufmerksamer Blick, geschärft in acht Jahren Polizeidienst, durch den Raum schweift. Hicks sieht Geld. Sein eigenes neues Apartment, ein großer Fortschritt im Vergleich zur Wohnung seiner Mutter in einem viel weniger kultivierten Teil Manhattans, würde in den Eingangsbereich und das Wohnzimmer hineinpassen. Er hat gar nicht gewusst, dass es derart viele Varianten von Beige gibt. Trotzdem ist der Raum nicht langweilig mit seiner Mischung aus gedeckten Tapeten, Mohair, Seide, Tweed und Samt. Ein paar sorgsam ausgewählte antike Stücke aus Muranoglas in Tutti-frutti-Farben reflektieren das Nachmittagslicht. In einem anderen Leben war diese straffe, gut gekleidete Frau anscheinend eine venezianische Contessa.
Hicks entgeht natürlich nicht, dass hier im Gegensatz zu den Wohnungen der meisten Frauen mit erwachsenen Kindern ein auffallender Mangel an Familienbildern herrscht. Er sieht einige wenige Fotos von Annabel und viele von Barry in verschiedenen Altersphasen, aber nur ein einziges von Barry, Annabel und mir, auf einem Beistelltisch, halb verdeckt von einem stark duftenden Strauß aus pfirsichfarbenen Rosen und Strelitzien.
»Kaffee? Tee?«, fragt Kitty. Pinky steht, auch wenn sie nicht zu sehen ist, in der Küche parat.
»Nein, danke«, erwidert Hicks. »Ich will Ihre Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Wenn Sie einverstanden sind, Mrs. Katz, fangen wir am besten gleich an.« Und wieder zieht er das schwarze Notizbuch hervor, das nicht mehr ganz so makellos wirkt wie beim ersten Mal, als ich es gesehen habe. Er lächelt. »Also. Führten Ihr Sohn und Ihre Schwiegertochter eine glückliche Ehe?«
»Absolut. Sie waren sehr glücklich. Molly hat meinen Sohn sehr geliebt.« Wer würde das nicht tun?, steht Kitty ins Gesicht geschrieben.
»Keine Risse in der Oberfläche, Mrs. Katz? Spannungen, Sorgen?«
»Doch, natürlich. In welcher jungen Ehe kommt so etwas nicht vor?«
»Antworten Sie bitte nur auf meine Fragen, Mrs. Katz. Wie war Ihr eigenes Verhältnis zur Verstorbenen? Zu Molly?«
Kitty beugt sich vor und streckt eine Hand aus – ohne Altersflecken, die wurden alle per Laser entfernt, und geschmückt nur mit einem viereckigen, in Platin gefassten Diamanten. »Wissen Sie, Detective«, sagt sie, »meine eigene Schwiegermutter – ich meine die Mutter von Barrys Vater, möge sie in Frieden ruhen – hat sich unentwegt in mein Leben eingemischt.« Sie muss sich zwingen, die Augen nicht zu verdrehen bei der Erinnerung an die alte Schreckschraube mit dem Damenbart. »Daher war es mein Grundsatz, so etwas selbst niemals zu tun.« Sie betont das Wort »niemals«, als wäre es kursiv gesetzt. »Ich habe meinen Sohn und Molly ihr eigenes Leben führen lassen.«
Die Wahrheit ist: Kitty hat mir zwar viel Freiraum gelassen, aber es verging kaum ein Tag, an dem Barry und sie sich nicht gesprochen haben. Hicks wüsste gleich, womit er es zu tun hat, wenn Kitty ihm das erzählen würde, denn in seiner Familie ist Einmischung gleich Liebe. Je mehr Einmischung, desto stärker die Liebe – und das Ganze wird komplettiert durch einen dritten Aspekt: Essen.
Die Katz hatte nichts für Molly übrig,
schreibt Hicks ins Notizbuch, in einem Polizeicode, den nur er entziffern kann. »War Molly die Ehefrau, die Sie sich für Ihren Sohn gewünscht haben?«, fragt er.
Ah! Eine Antwort, bitte! Hätte Kitty lieber eine Schwiegertochter gehabt, die Mitglied des richtigen Wohltätigkeitsvereins war und, sagen wir, ein Golfhandicap unter zehn hatte? Zu bedrohlich, vermutlich. Eine Mini-Kitty? Ja, wenn diese Frau
sie
genauso bewundert hätte wie sie beide zusammen Barry und alles für das Fortkommen seiner Praxis getan hätte. Eine Frau, die ihre eigene Identität vor dem Barry-Thron geopfert hätte.
»Ich habe mir nie eine Frau für meinen Sohn gewünscht«, sagt Kitty, und das ist vermutlich der erste aufrichtige Satz dieses Tages von ihr. Mein Bullshit-Detektor zeigt null Ausschlag.
Ein Lächeln huscht über Hicks’ Gesicht. »Dann sind Sie ganz anders als meine Mutter. Sie hat ein Mädchen für mich im Auge, seit ich dreiundzwanzig wurde.« Evian, die seiner Mutter die vielen Zöpfe in ihr krauses Haar flicht. Eine richtig Nette, diese Evian. Gut gebaut, warmherzig, genau wie Ma, die sie mindestens alle zwei Monate am Sonntag zum Essen einlädt. Eines Tages wird Ma begreifen, dass er, der ehrgeizige Detective, der leider nicht tanzen kann, nicht Evians Typ ist.
Weitere Kostenlose Bücher