Ich muss dir etwas sagen
Hier eine Geschichte, wie eine Bitte „in die Binsen”
gehen kann.
Mike und Jim
Mike war Eigentümer einer kleinen Druckerei. Die
Rechnungen stapelten sich, die Verkäufe stagnierten und der Konkurs schien nicht mehr weit. Der Punkt, an dem eine Bank ihm hätte helfen können, war längst überschritten. Aber sein Bruder Jim hatte einige Rücklagen. Das Problem war, daß Mike
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und Jim schon seit ihrer Jugend ein gespanntes Verhältnis hatten und einander auch als Erwachsene nie viel näher gekommen
waren, obwohl sie beide ab und zu einen halbherzigen Versuch gemacht hatten, das zu ändern. Als Mike seinen Bruder also um einen Kredit von zehntausend Dollar bat, überfiel er ihn damit förmlich.
Mike versuchte, es so darzustellen, als handele es sich um eine Lappalie und daß er den Betrag leicht innerhalb einiger Wochen zurückzahlen könnte. Jim fühlte sich beleidigt und schöpfte obendrein Verdacht, weil Mike ganz offensichtlich bemüht war, seine prekäre Lage zu verschleiern. Außerdem schien Mike es für selbstverständlich zu halten, ihn um das Geld zu bitten, obwohl sie sich nicht sehr nahe standen. Jim verfügte zwar über die gewünschte Summe, war aber auch nicht so reich, sie quasi aus dem Fenster werfen zu wollen. Er antwortete also, daß er es zu seinem Bedauern ablehnen müsse, nahm es seinem Bruder
jedoch gleichzeitig insgeheim übel, ihn überhaupt in diese Lage gebracht zu haben. Seither sind viele Jahre vergangen, und beide haben nie wieder miteinander gesprochen.
Die wichtigste Entscheidung zuerst
Zuallererst müssen Sie eine Entscheidung fällen. Sie wollen etwas, aber es bereitet Ihnen Schwierigkeiten, darum zu bitten.
Nun müssen Sie entscheiden, was Ihnen wichtiger ist: daß Ihnen Ihr Wunsch gewährt wird, egal, was es kostet, oder daß Sie die gute Atmosphäre der Beziehung aufrechterhalten. Kurz: Wollen Sie unbedingt erfolgreich sein mit Ihrer Bitte, oder ist Ihnen das harmonische Miteinander wichtiger?
Ich möchte hier nicht darauf eingehen, wie man erfolgreich sein kann, wenn das auf Kosten einer Beziehung geht. Es geht darum, Beziehungen zu stärken, auch und gerade, wenn die
Wahrheit eine große Herausforderung darstellt. Sie können
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darauf vertrauen, daß der Geist, der den meisten Beziehungen innewohnt, eine Möglichkeit für die Erfüllung Ihrer Wünsche schafft, solange sich diese im Rahmen halten. Es gilt die
Tragödie zu verhindern, daß Beziehungen durch falsch
geäußerte Wünsche in die Brüche gehen.
Das Drehbuch für heikle Wunschäußerungen
Einen Zeitpunkt verabreden
Der erste Schritt ist, wie immer, den Zeitpunkt für ein Gespräch zu vereinbaren. In diesem Fall könnten Sie etwa sagen: „Ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Wann wäre ein guter
Zeitpunkt, darüber zu reden?” Es macht Sinn, gleich zu Anfang zu signalisieren, daß Sie einen Wunsch äußern möchten, weil der Betreffende sich sonst womöglich „hintergangen” fühlt, wenn er entdeckt, daß Sie, statt „nur” mit ihm zu „sprechen”, eigentlich eine Bitte haben. Außerdem kann er sich nun
überlegen, welcher Wunsch das sein könnte, und der fällt letzten Endes meist kleiner aus, als er befürchtet.
Stecken Sie den Rahmen
Unser Anliegen - denken Sie nur an Mike und Jim - ist meist umfassender, als es den Anschein hat. Da ist zunächst der
Wunsch, der Betreffende möge uns das Recht einräumen, ihn
um etwas zu bitten, auch wenn er diese Bitte eventuell nicht erfüllen kann. Es ist eine Sache, wenn der Wunsch nach
Gehaltserhöhung nicht erfüllt wird, und eine ganz andere, darauf hingewiesen zu werden, man habe kein Recht, überhaupt darum zu bitten.
Außerdem wünschen wir uns, daß man uns zuhört und unsere
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Bitte ernst nimmt und nicht ungeprüft abweist. Und zum Schluß wünschen wir uns, daß man uns nicht demütigt, weil wir eine Bitte geäußert haben. Wer einen heiklen Wunsch formuliert, sagt also eigentlich: „Ich möchte, daß du mir einen Wunsch erfüllst. Wenn du das nicht tust, will ich dennoch das Gefühl haben, es sei in Ordnung gewesen, darum zu bitten.” Bevor man also damit herausrückt, gilt es den Rahmen so zu stecken, daß beide Beteiligte sich hinterher auf alle Fälle nicht unwohl fühlen.
Mike machte einen großen Fehler bei dem Versuch, sich
zehntausend Dollar von seinem Bruder zu leihen: Er tat so, als sei dies eine Lappalie. Da es sich aber um einen erheblichen Betrag handelte, stößt eine gegenteilige
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