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Ich muss Sie küssen, Miss Dove

Titel: Ich muss Sie küssen, Miss Dove Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lee
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während das Leben an ihr vorüberzog. Nie wieder würde sie darauf warten, dass das Schicksal ihr bot, was sie sich wünschte. Von jetzt an wollte sie die Hände selbst nach ihren Träumen ausstrecken und sie dann für immer festhalten.
    Nie zuvor hatte sie solche Angst gehabt.
    „Miss Dove?"
    Sie sah auf. Der Angestellte, mit dem sie bei ihrer Ankunft gesprochen hatte, stand an der Treppe und wartete auf sie. „Folgen Sie mir bitte."
    Emma erhob sich und kämpfte gegen das flaue Gefühl in ihrem Magen an. Mit den Manuskripten unter dem Arm lief sie hinter dem Angestellten die Treppe hinauf in ein Vorzimmer, wo ein Mann, eindeutig der Sekretär, hinter einem Schreibtisch saß. Der Angestellte zog sich zurück, und der Sekretär stand auf. Er zeigte auf eine offene Tür hinter ihm. „Sie dürfen eintreten, Miss."
    Einen Moment lang starrte sie die Tür an, dann atmete sie tief durch und betrat ein großes Büro, das in jeder Hinsicht so teuer eingerichtet war wie das von Marlowe. Allerdings empfand sie es als ein wenig zu vollgestellt, um effektiv darin arbeiten zu können.
    „Miss Dove?" Ein großer, sehr gut aussehender Mann kam um seinen Schreibtisch herum und ging lächelnd auf sie zu. „Es ist mir eine Freude, Sie endlich kennenzulernen."
    „Endlich, Lord Barringer?" Verblüfft beobachtete sie, wie er sich galant über ihre Hand beugte.
    „Jeder in der Fleet Street kennt Marlowes außergewöhnlich tüchtige Sekretärin. Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Miss Dove", fügte er hinzu, ihre Hand weiterhin in der seinen haltend. „Und alles davon war nur schmeichelhaft."
    Emma wurde von Sekunde zu Sekunde erstaunter. „Ich wünschte, ich könnte dasselbe behaupten", murmelte sie. „Aber obwohl ich von Lord Marlowe viel von Ihnen gehört habe, war nichts Schmeichelhaftes dabei."
    Lord Barringer warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. „Das bezweifle ich nicht."

5. KAPITEL
Ein Mann muss lernen, bei den Frauen stets mit dem Unerwarteten zu rechnen.
    Lord Marlowes Junggesellenmagazin, 1893

    Miss Doves Wohnung befand sich in Holborn in der Little Russel Street, einer sehr ansehnlichen Wohngegend mit hübschen, mehrstöckigen Wohnhäusern. Harry blieb vor der Nummer 32 stehen, einem schmucken Backsteinhaus mit Spitzengardinen hinter den Fenstern. Ein handgemaltes Schild im Fenster der Erdgeschosswohnung verkündete, dass eine Wohnung zu vermieten wäre, aber nur an Damen mit gutem Charakter. Zwei Kübel mit roten Geranien flankierten eine frisch gestrichene dunkelgrüne Eingangstür. Der Türklopfer aus Messing funkelte im Schein der Nachmittagssonne.
    Genau die richtige Umgebung für ein so tugendhaftes Geschöpf wie Miss Dove, dachte Harry, als er das Haus betrat. Nach der Helligkeit draußen kam ihm der Eingangsbereich ein wenig dunkel vor, aber der angenehme Duft von Zitronenseife verriet ihm, dass das Innere des Hauses genauso tadellos sauber war, wie es von außen aussah. Als seine Augen sich an das schwächere Licht gewöhnt hatten, erkannte er, links von sich eine Art Empfangssalon. Zu seiner Rechten führte eine Wendeltreppe mit schmiedeeisernem Geländer nach oben; in der Nische darunter entdeckte er einen großen Schreibtisch aus Eiche. An der Wand dahinter waren nummerierte Fächer angebracht, die Mitteilungen und Briefe für die Mieterinnen enthielten.
    Die Hausdame oder irgendwelche Bediensteten waren nirgends zu sehen, aber Harry benötigte keine Hilfe. Mit einem prüfenden Blick auf die Fächer an der Wand fand er Miss Doves Wohnungsnummer heraus und stieg die Treppe hinauf bis in den vierten Stock.
    Hinter der Tür zur Nummer 12 vernahm er das vertraute, rhythmische Klappern einer Schreibmaschine. Als er anklopfte, hörte das Klappern auf, und wenig später öffnete sich die Tür.
    „Lord Marlowe?" Sie schien überrascht, ihn zu sehen, obwohl er sich nicht erklären konnte, warum. Sie musste doch wissen, welche Wirkung ihre plötzliche Kündigung gehabt hatte. Den ganzen Tag über waren Mitglieder der Belegschaft in einem nicht abreißen wollenden Strom zu Harry gekommen und hatten nach Plänen, Berichten und allen möglichen anderen Dingen verlangt, mit denen Miss Dove sie für gewöhnlich versorgte. Dinge, von deren Existenz Harry nicht einmal gewusst hatte, ohne die das Personal aber offenbar nicht arbeiten konnte. Eigentlich war sein Plan gewesen, ein paar Tage mit seinem Besuch zu warten, aber nach nur acht Stunden war ihm klar geworden, dass das nicht ging. Miss Dove

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