Ich muss Sie küssen, Miss Dove
setzen?"
Darüber musste Emma eine Weile nachdenken. „Nein, aber sie würde ein eindringliches Gespräch unter vier Augen mit mir führen."
„Sie scheint sich ja brennend für Ihre Angelegenheiten zu interessieren."
„Mrs. Morris ist immer ziemlich umständlich und gluckenhaft, aber sie war eine gute Freundin meiner Tante und kennt mich seit Jahren. Ich lege großen Wert auf ihre Meinung.”
„Wenn sie Sie seit Jahren kennt, dann müsste sie inzwischen eigentlich wissen, dass Sie einen guten Charakter haben. Und wenn das nicht der Fall ist, verlieren Sie im schlimmsten Fall eine Freundin, die im Grunde nie eine gewesen ist. Und diese Wohnung natürlich."
„Das ist schlimm genug", erwiderte Emma mit einem Anflug von Humor. „Haben Sie eine Ahnung, wie schwer es heutzutage ist, eine einigermaßen erschwingliche Bleibe in London zu finden?"
„Sie und ich, wir beide werden so viel Geld verdienen, dass Ihnen das gleichgültig sein wird."
Sie neigte den Kopf zur Seite und warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. „Und wenn wir gar keinen Erfolg haben werden?"
Harry tat diesen Gedanken mit einem Lachen ab. „Wir werden erfolgreich sein und Geld verdienen, vertrauen Sie mir."
„Woher nehmen Sie nur all diese Zuversicht?" Ehe er antworten konnte, fuhr sie fort. „Ich habe schon miterlebt, dass Sie Geld verloren haben."
„Ich sage ja nicht, dass es nie vorkommt, aber in diesem Fall sehe ich diese Gefahr nicht."
„Das haben Sie nie. Aber wenn es dann doch geschieht, tun Sie es einfach achselzuckend ab, als wäre es Ihnen gleichgültig." Sie hob die Hände. „Ich habe Sie Tausende von Pfund bei irgendwelchen Geschäften verlieren sehen, und es hat Sie nie berührt. Sie denken immer, Sie werden den Verlust an anderer Stelle wieder wettmachen."
„Und das gelingt mir doch auch immer, nicht wahr?"
„Ja, aber das hilft mir nicht weiter."
„Sie machen sich zu viele Gedanken." Er trat zu ihr und legte ihr die Hände auf die Arme. „Es ist nie gut, sich zu lange damit zu befassen, was alles schief gehen könnte. Ein gewisses Risiko besteht immer."
„Nicht jeder hat Ihr Selbstvertrauen. Ich zum Beispiel nicht.”
„Seien Sie nicht albern, natürlich haben Sie Selbstvertrauen. Jawohl, darüber bin ich mir allerdings sehr sicher!", bekräftigte er, als sie den Kopf schüttelte. „Sie sind schließlich diejenige, die eine feste Anstellung aufgegeben hat, um sich den Lebensunterhalt als Autorin zu verdienen. Wenn das kein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ist, dann weiß ich es auch nicht."
Unerwartet fing sie an zu lächeln. „Das war gar kein Selbstvertrauen, das war Wut. Ich war wütend auf Sie, weil Sie nicht einmal wussten, wer Mrs. Bartleby ist."
Harry hatte sie bislang selten lächeln sehen, und es gefiel ihm. „Nun, das ist doch mal ein Anblick", murmelte er. „Sie müssen viel öfter lächeln, Miss Dove, denn ich schwöre Ihnen, Sie sehen dann sehr hübsch aus."
Der Lohn dafür war, dass ihre gelöste Miene augenblicklich erstarb, und ihm fiel wieder ein, dass sie ihn der Unaufrichtigkeit bezichtigt hatte. Plötzlich fühlte er sich befangen, und dieses Gefühl mochte er nicht. Sie hatte ihn als aalglatt bezeichnet, und vermutlich war er das auch, denn er war selten um das richtige Wort verlegen, vor allem nicht gegenüber Frauen. Doch bei dieser ganz speziellen Dame hier schien es ihm nie zu gelingen, das Passende zu sagen. Emma fing an, unruhig zu werden, und Harry nahm die Hände von ihren Armen. „Nun verspannen und versteifen Sie sich nicht gleich wieder", sagte er. „Ich wollte Sie nicht hätscheln oder besänftigen oder sonst etwas in der Art. Ich fand nur, dass ich Ihr Lächeln mag, und das habe ich dann auch gesagt."
„Ich will ja auch gar nicht verspannt und steif werden, wie Sie das nennen. Es ist nur ..." Sie zupfte an einer Haarsträhne, die sich gelöst hatte. „Ich bin es einfach nicht gewohnt, Komplimente zu erhalten. Von Ihnen, meine ich. Ich weiß nicht genau, wie ich darauf reagieren soll."
„Ich glaube, die gängige Reaktion ist ein Dankeschön." Das brachte sie tatsächlich zum Lachen. „Ich werde versuchen, mir das zu merken. Danke schön."
„Gern geschehen. Aber ich kann es nicht fassen, dass ausgerechnet ich jetzt Ratschläge in Sachen Etikette erteile. Wer hätte das gedacht?"
„Vielleicht färbt mein Einfluss ja auf Sie ab?"
„Zweifelsohne." Er bückte sich und griff nach seiner Aktentasche. „Wenn ich das nächste Mal herkomme, lasse ich Ihnen
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