Ich muss Sie küssen, Miss Dove
bei einer Essenseinladung nicht in Frage."
„Viel anderes essen sie aber auch nicht, soweit ich sehen kann." Er rückte näher an Emma heran, damit er von der obersten Seite ablesen konnte. „Keine Regenpfeifer, keine Tauben, keine Schnepfen. Keine Austern, Miesmuscheln, Venusmuscheln oder ganze Hummer. Keine Artischocken, kein Bohnenkraut, kein Käse." Er hielt zum Luftholen inne, dann las er weiter. „Nichts zu Fettes, nichts zu stark Gewürztes. Und niemals mehr als nur ein Glas Wein. Habe ich irgendein Verbot übersehen?"
Sie seufzte. „Ich wünschte, Sie wären manchmal etwas ernster, wenn es um meine Arbeit geht."
„Ich bin vollkommen ernst", versicherte er. „Nachdem ich das hier gelesen habe, ist mir klar geworden, warum Frauen so zerbrechlich schmale Taillen haben und ständig in Ohnmacht fallen. Ich dachte immer, das liege an den Korsetts, aber nein. Sie haben alle Hunger! "
Miss Dove presste die Lippen aufeinander, trotzdem merkte er, dass sie ein Lächeln unterdrückte. „Ich bin noch nie ohnmächtig geworden."
„Sie vielleicht nicht, aber Sie müssen zugeben, dass ich recht habe. Das Leben ist viel zu kurz, um es halb verhungert zu verbringen."
„Das trifft wohl kaum zu. Diese Regeln sind nur für Essenseinladungen vorgesehen und gelten normalerweise nur für junge, unverheiratete Damen."
„Das erklärt, warum sie alle heiraten wollen", konterte er. „Wenn ich mich nur von langweiligen Nachspeisen oder Hühnchenflügeln ernähren müsste, würde selbst ich vielleicht langsam Ausschau nach einer Ehefrau halten."
Das war zu viel. Sie lachte hell auf. „Wirklich, Mylord, ich verstehe nicht, weshalb Sie das alles so überrascht. Sie haben doch schon an vielen Gesellschaften teilgenommen. Sie wissen bestimmt, dass Sie beim Tranchieren den jungen Damen stets die Hühnchenflügel anbieten."
„Niemand, der mich kennt, würde mich je bitten, bei Tisch zu tranchieren. Rind schneide ich in viel zu dicke Scheiben, und Geflügel zersäge ich regelrecht."
„Sie wollen eben einfach dafür sorgen, dass die jungen Damen genug zu essen bekommen und nicht schon vor dem Nachtisch ohnmächtig werden."
Harry setzte sich aufrecht hin und starrte sie an. „Miss Dove, Sie haben ja soeben einen Scherz gemacht!"
„Er war eindeutig nicht gut, sonst hätten Sie gelacht."
„Er war fürchterlich", stimmte er zu, „aber er hat eines bewiesen. Sie haben sich geirrt, und ich hatte recht."
„Wovon reden Sie?"
„Sie sagten, wir beide könnten niemals gleichberechtigt zusammenarbeiten. Wir würden nicht miteinander auskommen. Dieses Gespräch jetzt beweist, dass Sie sich getäuscht haben. Ich finde ..." Er verstummte, beugte sich wieder zu ihr und blickte ihr auf den Mund. „Ich finde, wir kommen ganz ausgezeichnet miteinander aus, Miss Dove."
Sie öffnete die Lippen, senkte die Lider, und er konnte sich der Vorstellung nicht erwehren, dass sie sich schon im nächsten Augenblick auf die beste Weise miteinander vertragen würden, wie es einem Mann und einer Frau nur möglich sein konnte. Doch dann wich sie abrupt vor ihm zurück, und seine Hoffnungen zerschlugen sich.
Emma raschelte mit den Papieren in ihrer Hand und räusperte sich. „So, nachdem Ihre Neugier in Bezug auf Hühnchenflügel gestillt ist — sollen wir jetzt weitermachen, Mylord?"
Harry zwang sich, sich wieder auf das rein Geschäftliche zu konzentrieren. Er erklärte ihr ein paar Eigenarten, die ihm an ihrem Schreibstil aufgefallen waren, vor allem ihre Neigung, manche Dinge viel zu detailliert zu beschreiben. Auch stritt er mit ihr über ein paar Passagen, die er ganz gestrichen oder für ihren Geschmack zu gravierend überarbeitet hatte.
Trotz allem schien sie seine Kritik recht gut aufzunehmen, vielleicht weil ihr Gespräch über hungernde junge Damen und Hühnchenflügel das Eis gebrochen hatte. Sie einigten sich über seinen Vorschlag, dass Emma in jeder Ausgabe wenigstens einen Artikel für Männer schrieb. Sie versprach, ihm einen solchen Artikel vorzulegen, wenn sie sich das nächste Mal am Mittwoch, also zu dem ursprünglich verabredeten Termin, wieder zusammensetzten. Dann unterbreitete sie ihm ein paar Ideen, die ihr für die kommenden Ausgaben vorschwebten.
Harry gab sich wirklich alle Mühe, ihren Ausführungen aufmerksam zu folgen, aber es dauerte nicht lange, bis sich seine Gedanken einem weitaus reizvolleren Thema als Picknicks und Saloneinrichtungen zuwandten. Während sie sich über die für ein Picknick geeigneten
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