Ich nannte ihn Krawatte
Mädchen, wie man sie weiterhin nannte, bei einem Mathematikwettbewerb den ersten Platz belegt hatte, wurde mit einiger Anerkennung bedacht, aber: Wer wusste schon, ob das stimmte? Wer wusste, ob das nicht eine erfundene Geschichte war? Fest stand: Mit Miyajimas hatte man besser nichts zu tun. Und auch für mich stand das fest, bis das Schicksal, damals sagte ich: ein dummer Zufall, dazu führte, dass unsere Wege sich ein letztes Mal kreuzten.
Ich war sechzehn. Ein neues Schuljahr hatte begonnen. In der Klasse wurden die Namen der Schüler verlesen. Ich saà gelangweilt, einen abgekauten Bleistift in der Hand drehend. Um mich herum dreiÃig andere, denen es ähnlich ging wie mir. Die Ferien, die keine gewesen waren, waren wieder einmal zu Ende gegangen, und man hatte die dunkle Vorahnung, dass es immer so sein würde. Dass das Leben, das keines war, immerzu seinem Ende entgegenrauschte.
Fujiwara Rie!
Hier!
Hayashi Daiichi!
Hier!
Kugimoto Sakuya!
Hier!
Miyajima Yukiko!
Hier!
Der Bleistift brach. Ich schaute nicht auf. Sie war hier! hier! hier!
Åyama Haruki!
Hier!
Taguchi Hiro!
Hier!
Roter Faden, Schicksalsfaden. Für immer und ewig.
Ueda Sakiko!
Hier!
Yamamoto Aiko!
Hier!
Sie ist ein Rücken. Ein schmaler Rücken. Das ist alles, was sie ist. Manchmal habe ich Heimweh. Schmetterlinge, gelb, blau, grün. Der Staub ihrer Flügel. Schwarzes Mönchsgewand. Das Herzsutra. Monoton. Ich hasse dich. Hörst du? Es ist mir egal. Freunde kommen und gehen. Kannst du nicht gehen? Prinzessin. Ich stehe in deiner Schuld. Pst, pst. Ãde Weite. Der Himmel stürzt ein. Ich möchte dir sagen. Mit dir bin ich fertig.
Die Spitze des Bleistifts in meiner Handfläche.
Ein vorübergegangener Schmerz.
68
Wenn es mir gelungen war, den Menschen, die nebenan lebten, auf Jahre hin auszuweichen, so würde es mir, das nahm ich mir an jenem ersten Tag vor, auch in einem Klassenzimmergelingen, einen weiten Bogen um den Tisch drei Reihen vor mir zu machen. Immerhin gab es Platz genug, um einander nicht zu begegnen, und ich sagte es schon: Ich hatte Ãbung darin. Nichts fiel mir leichter, als auf die umständlichste Art und Weise an jemandem vorbeizulaufen. Was ich nicht wissen konnte, war bloà eines, nämlich, dass ich diese meine Fertigkeit schon am zweiten Tag unter Beweis stellen musste.
Keine Ahnung, wer den allerersten Stein ins Rollen brachte. Es fing an mit einem harmlos dahingesagten: Die stinkt. Ich hörte es. Klar und deutlich: Die stinkt. Lautes Gelächter, auch das hörte ich. Dann stummer Fingerzeig, man zog die Nasen kraus. Yukikos Stimme, ein Flüstern: Bitte nicht! Wieder Gelächter: Die stinkt, als ob sie einen Fisch unterm Rock hätte. Jemand fasste nach ihr. Ich sah es. Klar und deutlich: Sie schreckte zurück. Was schaust du, fuhr mir einer ins Gesicht. Ich schaute weg. Ich hatte nichts gesehen. Und so sah ich auch am dritten und am vierten, auch am fünften und am sechsten, auch an all den Tagen, die ihm nachfolgten, nichts als Nichts.
Dieser Gestank, rief es aus aufgerissenen Mündern, wer stinkt, bezahlt fünftausend Yen* . Was heiÃt, du hast sie nicht? Morgen bezahlst du. Verdammt, du stinkst wie eine Sau. Oink-oink. Ein toter Hamster riecht besser als du. Hey, Mathematikprinzessin! Wie dividiert man Ochse durch Kuh? Mit groÃer Geschwindigkeit wuchs sich der anfangs bloà harmlos dahingesagte Satz zu einem ganzen Textkörper aus.
Yukiko hätte einen Freund gebraucht.
Einen, der für sie spricht.
Ich aber.
Ich hatte keinen Mund. Weder beteiligte ich mich am Gerede der anderen, noch hielt ich etwas dagegen. Es galt drauÃen zu bleiben, wenn drinnen die Welt zerfiel. An jedem Morgen, wenn Yukiko in die Klasse kam, stand ihrTisch verkehrt herum an einer anderen Stelle. Auf der Tafel die Karikatur eines grunzenden Schweins. Es hatte ein Bein angehoben. Darunter ihr Name. Sie wischte ihn Strich für Strich fort. Aus Yukiko wurde Yuki. Aus Yuki wurde nichts. Den feuchten Schwamm in der Hand, drehte sie sich schlieÃlich um, suchender Blick, er fand mich im Abseits. In ihm eine Anmut, der Glanz von einst: Ich schwöre, ich löse mich in Sternenstaub auf. Genau so sah sie mich an. Als ob sie mir sagen wollte: Ich löse mich auf.
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Hätte ich. Wäre ich. Es gibt nichts Trostloseres als den Konjunktiv der Vergangenheit. Die Möglichkeiten, die er andeutet, sind keine, die sich erfüllen werden, und
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