Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen
Gewalt zur Seite schieben muss.
Sie wollte nicht, was sie bekam, und trotzdem ist sie glücklich. Ist das am Ende das Geheimnis?
» Man kann nicht immer wissen, was man will, und man darf sich nicht verschließen. Das ganze Leben ist ein einziger Kompromiss! Und das kann am Ende genau das sein, was dich glücklich macht. Denk mal an Frau Merkel! Die hat doch sicher auch nicht geplant, Bundeskanzlerin zu werden, als sie sich für Physik eingeschrieben hat.«
» Und wegen der Merkel soll ich jetzt heiraten oder was?« Ja, okay, ich gebe zu: Mir gingen die Argumente aus.
» Mit dir kann man ja nicht reden«, meinte meine Mutter resigniert, dann war die Leitung frei. Zum Glück, dachte ich, Trotzkind, und knallte den Hörer auf die Station. Ich wollte eh gerade auflegen. Hinterhältige Verräter konnte ich in meinem Leben nämlich gerade gar nicht gebrauchen.
Hinter mir knarzten die Holzdielen. Ich drehte mich um. Apropos Verräter. Konrad stand im Türrahmen. Betreten sah ich zu Boden.
» Wie lange stehst du da schon?«, fragte ich sehr leise.
» Lang genug«, antwortete er und lächelte schief. » Hör mal, ich werde für ein paar Tage… verreisen.«
Ich blickte auf, direkt in sein trauriges Gesicht. » Was heißt das, verreisen? So ’ne Art verlängertes Zigaretten-holen-Gehen-und-nie-mehr-Zurückkommen?«
» Wegfahren, woanders sein, Luft holen. Nachdenken. So was in der Art.«
Nee, is klar. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.
Konrad nickte in Richtung der Reisetasche, die er in der Hand hielt. Ich bin ja nicht bescheuert. Ich wusste, dass die Tasche, mit der er einst bei mir einzog, genauso groß gewesen war. Aber Reisende soll man bekanntlich nicht aufhalten.
» Du ziehst aus?«, fragte ich trotzdem, und mir wackelte die Stimme ein bisschen.
Konrad sagte nichts, lächelte noch einmal schief, dann drehte er sich um und verschwand. Und hinterließ nur die Stille und Schweigen und das Gefühl, gelähmt zu sein.
Elvis has left the building
Sonntag, 2 . Oktober, um 20 : 45 Uhr
Ich träume von meinem perfekten Filmende. Konrad und ich hatten uns schlimm gestritten. Nach den Tagen des Schweigens folgten die Tage des Donners. Das Wochenende verbrachten wir mit allem, was einem Paartherapeuten vor Glück das Wasser in die Augen treibt und den Betrag auf seinem Bankkonto mit einem satten Pling verdreifacht. Wie immer, wenn ich stritt, vergaß ich mittendrin, worum es eigentlich ging. Bei mir geht es eigentlich immer nur ums Gewinnen. Ums Rechthaben, Rechtbehalten und nach Möglichkeit dem anderen eine unheilbare soziale Störung nachweisen. Wenn ich streite, streite ich nicht, wenn ich streite, bin ich der Staatsanwalt der Moral. Meine Sätze beginnen mit » Kein normaler Mensch würde« und enden mit » und da lasse ich auch nicht mit mir reden«. Um es kurz zu machen: Streiten gehört nicht gerade zu meinen Paradedisziplinen.
In der Welt, in der ich meine zu leben, ist selbst ein globaler, vernichtender, welterschütternder Streit aber eigentlich kein Problem. Denn irgendwann, so steht es im Drehbuch, wenn alle Gemeinheiten dem anderen ins Gesicht geschrien, alle Teller zerdeppert und die ersten Umzugskisten gepackt sind und einer von beiden gerade mit einer kleinen, hastig gepackten Tasche die Treppen hinunterstürzt, folgt nicht die Katastrophe, sondern das, was Dramatiker Lysis nennen, das dénouement, die Auflösung des ursprünglichen Konflikts in watteweiches Wohlgefallen. Der Freund bleibt stehen, fasst sich an den Kopf, das Licht wird heller, die Streicher setzen ein. Er macht auf dem Treppenabsatz kehrt, stößt die Wohnungstür wieder auf, rennt mir entgegen, in meine weit geöffneten Arme, und keucht: » Ist doch alles so was von egal, solange wir zusammen sind– wir lieben uns doch!« Und dann folgt ein langer, leidenschaftlicher Filmkuss, und diesem Filmkuss folgen mehrere Stunden langer und leidenschaftlicher Versöhnungssex, und die Vögel zwitschern, und die Sonne scheint, und der Abspann erscheint, und das Publikum reibt sich müde, aber glücklich die Augen, sowie das Saallicht wieder angeht.
Klappe zu, Affe tot, Popcorn leer, alle glücklich.
Nun stehe ich hier. Konrad ist gerade aus der Wohnung gerauscht, in der Hand seine Sporttasche, ein sicheres Indiz, dass er mindestens übers Wochenende wegbleiben will. Natürlich wird er das nicht mehr wollen, wenn er beim zweiten Treppenabsatz angekommen ist, dann kommen das helle Licht, die Streicher und die Einsicht. Dann
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