Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen

Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen

Titel: Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Rautenberg
Vom Netzwerk:
Auge, in einem hübsch geblümten Kleidchen, güldenen Löckchen und einer Seidenschleife im Haar, in einem von oben bis unten rosa eingerichteten Zimmer, umringt von Hunderten toter Puppengesichter. Konni hielt ein kleines Bürstchen in der Hand, kämmte damit das echte Menschenhaar der Puppe und sang schräg ein Kinderlied. Irritierenderweise sah ich nicht den jungen Konrad vor mir, sondern den erwachsenen. Wenn das nicht Stoff für einen echten Gruselschocker war, dann wusste ich auch nicht. Eins, zwei, Konni kommt vorbei, drei, vier, steht schon vor der Tür …
    Ich versuchte, die ekelhaften Bilder abzuschütteln. Günther verlor sich währenddessen in ihrer rosaroten Erinnerung. Konrad starrte mit Resignation und Schuld im Blick auf Sonnenschirmchen und Ananasse. Und Herr Paulsen kommentierte alles mit einem leisen Bäuerchen.
    » Nun, lassen wir die alten Zeiten ruhen«, sagte Günther schließlich. » Liebling, sei so nett, und hilf mir beim Abräumen.«
    » Wer? Ich?« Herr Paulsen blickte sichtlich irritiert von den Ananassen auf.
    » Nein, natürlich nicht du«, zischte Günther, » du bist viel zu ungeschickt!«
    Also half Konrad seiner Mutter beim Abräumen des Tisches– mich konnte sie mit » Liebling« ja eindeutig nicht gemeint haben. Ich startete zwar mehrere Versuche zu helfen, wurde aber rigoros in die Schranken verwiesen. Ich war GAST ( G rößter A nzunehmender ST örfaktor), ich durfte hier gar nichts. Außer mit Konrads Vater einen kleinen Spaziergang durch den Garten unternehmen.
    Der Garten war genau genommen kein Garten, sondern ein kleiner Park, der sich über mehrere hundert Hektar akkurat geschnippelten Rasens und fein säuberlich angelegter Blumenbeete erstreckte.
    Ich half Herrn Paulsen beim Aufstehen, dann zog ich ihn am Arm hinter mir her durch die Paulsen’sche Bundesgartenschau.
    » Da, lass uns mal zum Zaun gehen.« Konrads Vater duzte mich. Ich mochte Konrads Vater.
    Wir wackelten gemeinsam durch den Garten bis zum hinteren Ende. Hinter dem Gartenzaun erstreckte sich unbebautes Gebiet. Der Wald steht schwarz und schweiget. Vielleicht war mein Geist vom Spießertum in Konrads Elternhaus schon eingelullt? Vielleicht war es die Ruhe, die mich nach der anstrengenden Konversation überkam? Vielleicht das tiefe und zufriedene Luftholen von Herrn Paulsen an meinem Arm? Aber genau in diesem Moment, als wir da einträchtig nebeneinander am Gartenzaun standen und auf den Taunus blickten, da fühlte ich mich vollständig und ausgeglichen und komplett. Und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar.
    » Ist sie noch da?«, fragte Paulsen senior unvermittelt. Ich drehte mich um und sah zurück zum Haus. Die Terrasse war zu weit entfernt, um Einzelheiten zu erkennen, aber immerhin sah ich, dass niemand da war. Zumindest nicht Konrads Mutter.
    » Glaube schon«, sagte ich ein bisschen irritiert.
    Da zog Konrads Vater zwei zerknitterte, selbst gedrehte und filterlose Zigaretten aus der Hosentasche und hielt mir eine hin.
    » Hier«, sagte er. Dann zwinkerte er mir zu. » Aber psst!«
    Ich lächelte. Gemeinsam standen wir im Sonnenuntergang, schauten auf die waldbedeckten Hügel und gaben Paulsen seniors Raucherbein geschwisterlich den Rest.

Wenn der Postmann zweimal klingelt
    Dienstag, 26 . April, um 14 : 19 Uhr
    Der Vormittag verlief ganz ruhig und wie immer. Ich langweilte mich ein bisschen und schob in Ermangelung eines spektakulären Großauftrags ein paar Dateien über den Rechner, spitzte Bleistifte, sortierte Heftklammern nach Farbe, Größe und Gewicht, säuberte die Computertastatur, las ein paar Absätze in der Duden Rechtschreibhilfe für Dummies, legte einige Kaffee- und Zigarettenpausen ein und plauderte mit anderen Selbstständigen über den Facebook-Chat, als es an meiner Tür klingelte.
    Bestimmt nur der Briefträger. Potenzielle Kunden klingeln nie an meiner Tür. Immer nur Leute, die direkt Geld von mir wollen (Lieferung per Nachnahme) oder Briefe bringen. Von Leuten, die Geld von mir wollen.
    Ich ging an die Gegensprechanlage und lauschte. » Hallo?«, rief ich auf die Straße. Niemand antwortete. Vielleicht war der Briefträger ja schon hochgegangen?
    Frau Kügler aus dem Vierten lässt gerne mal die Tür offen stehen, obwohl die Hausordnung (ja, so was haben wir hier) ein derartiges Benehmen aufs Schärfste verurteilt. Da wir aber nicht im Ländle leben, interessiert die Nichteinhaltung der Hausordnung niemanden, nicht mal den, der die Hausordnung geschrieben hat.

Weitere Kostenlose Bücher