Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen
für diesen Sommer jedenfalls, der laut Kalender und Thermometer nicht mehr lange auf sich warten lassen dürfte. Verdammt.
Frustriert ließen wir die Bekleidungsgeschäfte hinter uns und widmeten uns Konsumgütern, die immer passen: Schuhe und Taschen.
Männer behaupten ja gerne, ausnahmslos jede Frau hätte einen Schuh- oder Taschentick. Stimmt nicht. Frauen haben nicht per se eine Schwäche für Schuhe oder Taschen, Frauen haben per definitionem eine Schwäche für Dinge, die passen, egal wie sehr die weiblichen Rundungen über den Winter aus der Form geraten sind. Oder hat irgendein Mann da draußen schon mal von einer Frau gehört: » Boah, geil, heute gehen wir Bikini kaufen, Mensch, wat freu ick mir«? Nein.
Bikinikaufen ist so wie Unterwäschekaufen. Unabhängig von Kleidergröße, Bindegewebsbeschaffenheit oder Teint: Nach dem vernichtenden Blick in den Spiegel einer schuhkartongroßen Umkleidekabine geht’s einfach jeder Frau beschissen. Gut, Frau Bündchen und Frau Klum schließe ich jetzt mal großzügig aus, aber ich kann mir auch nicht vorstellen, dass eine von den beiden in den letzten fünfzehn Jahren eine Umkleidekabine von C&A von innen gesehen hat. In der sähen nämlich selbst die scheiße aus.
Mona und ich jedenfalls hatten uns hinreichend erniedrigt und wandten uns mit geknicktem Ego den erfreulicheren Dingen des Lebens zu. Wir wurden beide schnell fündig und waren froh, endlich die Entscheidungsgewalt über unser Konsumverhalten zurückergattert zu haben. Nicht mehr die Hose entschied, ob sie gekauft wurde (weil: passt oder platzt), sondern wir waren am Hebel.
Als wir unsere frustgeshoppten Waren glücklich aus dem Laden trugen, funkelte uns die Junisonne von oben an. Mona seufzte tief: » Drei Stunden, fünf Rempeleien, ein kaputter Reißverschluss und zwei Paar erstandene Zehensandalen sind für meinen Geschmack genug. Kaffee?«
Ich stimmte begeistert zu, und wir setzten uns in Bewegung. Als wir nach ein paar hundert Metern am Pizzahut vorbeikamen, blieb Mona wie angewurzelt stehen. » Ich muss da rein! Ich will ’ne Pizza!«
Ich sah sie skeptisch von der Seite an. Eben noch kurz vorm Heulkrampf, weil Kleidergröße achtunddreißig von der Bekleidungsindustrie » enger genäht worden« war, und jetzt ’ne Pizza? So schnell konnte ja nicht einmal ich die Meinung ändern.
Ich schüttelte den Kopf. » Ne, lass mal.« Dann klopfte ich mir auf die Wampe. » Ich verzichte.«
» Ach komm schon«, nörgelte Mona, aber ich blieb standhaft. Um nicht zu sagen: vorbildlich. Stolz auf mich und meinen eisernen Willen ignorierte ich das Grummeln in meinem Magen und den einschießenden Speichel in meinem Mund, als Mona die Tür öffnete und damit eine Duftwolke köstlichster US -italienischer Pizzabackkunst ins Freie entließ.
Ich stellte mich also neben den Eingang vor eine der Glasscheiben und sah hinein. Drinnen schaufelten übergewichtige Großfamilien und gertenschlanke Teenies, die noch (!) mit einem beneidenswerten Stoffwechsel gesegnet waren (hört meine Worte: Ab fünfundzwanzig geht’s bergab!), ölig glänzende, lange Käsefäden ziehende Pizzen in sich hinein. Schnell wieder umdrehen! Um meine Disziplin war es dann doch nur mäßig gut bestellt.
Um mir die Wartezeit zu verkürzen und dem Kanonenbombardement in meinem Magen etwas entgegenzusetzen, zündete ich mir eine Zigarette an und beobachtete die Leute. Leute beobachten gehört zu meinen liebsten Hobbys. Ich bin immer wieder überrascht, wie viele wirklich nicht gut aussehende Menschen es in der großen weiten Welt doch so gibt. Und die Jugendlichen erst! Hatte ich in meiner Jugend auch so wahnsinnig bescheuert ausgesehen?
Ich dachte an meine skurrilen Haarfärbe-Experimente. Außerdem an die Levi’s Jeans, die ich meiner Mutter nach monatelanger Bettelei endlich abgequatscht und– damals war das halt so » in«– schon fünf Minuten, nachdem wir nach Hause gekommen waren, zerstört hatte. Jedenfalls sah das meine Mutter damals so. Ich nahm nämlich das teure Stück (hundertneunundfünfzig Deutsche Mark, das war damals ein Vermögen! Heute würde wegen neunundsiebzig Euro ja keiner mehr von der Zeitung aufschauen) und schnitt nicht nur ratzfatz die Etiketten ab, nein, ich schnippelte auch noch vom inneren Beinsaum aus fünfzehn Zentimeter an der Naht entlang, damit die Hose sich nicht uncool auf den Turnschuhen stapelte, sondern » ausgestellt« im Dreck der Straße endete. Meine Mutter bekam einen Heulkrampf und ich eine
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