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Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen

Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen

Titel: Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Rautenberg
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Woche Hausarrest. Ich war vierzehn. Ich hatte ja keine Ahnung, dass nur etwa ein Jahr später Schlaghosen wiederbelebt werden würden.
    Ich sah mir die Mädels an, die an mir vorbeiliefen. Alle hautenge Röhrenjeans, so eng, dass man da Dinge zu sehen bekam, die eigentlich in den Aufklärungsunterricht gehörten. Und viel zu kurze Oberteile! Meine Herren, das war ja schon fast anzüglich, was man hier miterleben durfte. War das eigentlich noch jugendfrei? Ästhetisch ansprechend war es jedenfalls nicht. Ich freute mich ein bisschen, dass auch Dreizehnjährige allem Anschein nach Hüftspeck ansetzten.
    Apropos Hüftspeck: Wo war eigentlich Mona?
    Ich drehte mich wieder der Fensterfront zu und ging ganz nah an die Scheibe, um trotz gleißenden Sonnenscheins drinnen etwas zu erkennen. Ich sah eine lange Schlange vor dem Schalter stehen, und irgendwo in dieser Schlange stand auch Mona und blickte genervt zur Decke. Da drin war aber auch die Hölle los! Ich ließ meinen Blick erneut durchs Schnellrestaurant schweifen und nahm einen weiteren Zug von meiner Zigarette, um den Verlockungen dieses kalorientechnischen Albtraumtempels zu widerstehen.
    Mein Blick blieb an einer Frau hängen, die in genau diesem Moment zu mir nach draußen sah. Die Frau sah irgendwie komisch aus, seltsam deplatziert in ihrer Aufmachung. Sie trug eine Seidenbluse in Rentnerbeige, um den Hals hatte sie ein fliederfarbenes Tüchlein geschlungen. In ihrer Hand hielt sie ein phänomenal gigantomanisch großes Stück Pizza, aus dessen Rand flüssiger Käse tropfte. (Eine unheimliche, perverse Erfindung, Käse im Pizzarand!) Ihr Mund war halb geöffnet, bereit, die Köstlichkeit zu empfangen, die ihren Säure-Basen-Haushalt so richtig auf den Kopf stellen würde.
    Ich starrte sie an. In der Hand meine Zigarette.
    Die Frau starrte zurück. Ein Tropfen Käse lief ihr über den Finger und landete zähflüssig auf dem Tablett, das vor ihr auf dem Tisch stand.
    Günther.
    Da drinnen, keine drei Meter von mir entfernt, nur getrennt durch eine Fensterscheibe, saß Konrads Mutter.
    Günther Paulsen, die uns mit Osterlämmern aus Dinkelmehl bestrafte. Die Grünkernbratlinge verschenkte, die aussahen, rochen und schmeckten wie vertrocknete Pferdeäpfel. Der ich den Sohn gestohlen und vor langer, langer Zeit einmal besoffen auf die Schuhe gekotzt hatte. Die so spaß- und genussbefreit war, dass sie die Hand vor den Mund hielt, wenn sie lachte. Was nur sehr selten geschah.
    Die saß nun also vor mir und aß ein Stück Pizza, für das selbst ich mich schämen würde.
    Vor Schreck nahm ich einen tiefen Zug von meiner Zigarette.
    Sie sah es. Starrte mich an.
    Scheiße, Günther hatte bislang nicht gewusst, dass ich rauche.
    Na ja. Jetzt wusste sie es. Und ich würde in der Hölle schmoren.
    Günthers Blick fiel eine Millisekunde lang hinab auf die göttliche, vor Fett triefende Speise vor sich, dann sah sie wieder zu mir. Und dann biss sie zu. Wie unter Zwang. Sie nahm einen so gewaltigen Happen von der Pizza, dass ich fürchterlich erschrak. Wieso hast du so ein großes Maul? Damit ich dich besser fressen kann.
    Günther warf mir einen ernsten, nein: einen wild entschlossenen Blick zu, und ich verstand: Das hier würde unter uns bleiben, sonst…
    Gerade als ich mich in meiner Vorstellung zu verlieren drohte, mit einem Betonblock an den Füßen im Tyrrhenischen Meer versenkt zu werden, rief Mona meinen Namen. Ich drehte mich schnell zu ihr um, die abgebrannte Zigarette in der Hand.
    Mona sah mich irritiert an. » Hast du einen Geist gesehen? Du bist weiß wie die Wand!«
    Ohne ein Wort zu verlieren, zog ich die sichtlich verwunderte Mona hinter mir her und verschwand in der Menschenmenge.

Geisterbahn
    Sonntag, 5 . Juni, um 23 : 47 Uhr
    Konrad schnarcht. Das ist aber nicht der Grund, warum ich nicht schlafen kann. Ich kann nicht schlafen, weil Donna Corleone durch mein Schlafzimmer geistert. Sie und das riesige Stück Pizza. Und die Schwiegermutter im eigenen Schlafzimmer zu haben, ist nie gut. (Pizza hingegen schon, aber das führe ich an dieser Stelle nicht weiter aus.)
    Nun weiß sie also, dass ich rauche. Und ich weiß, dass sie heimlich, wenn niemand dabei ist, ekelerregend leckere Pizzastücke verschlingt. All die Dinkelkörner nur Tarnung! Eine Fassade aus leise bröckelndem Roggenteig… Wahrscheinlich ist die Pizza nur die Spitze des Eisbergs. Wahrscheinlich geht sie auch unbemerkt in die Konditorei oder frisst die Warenauslage einer Eisdiele leer. Getarnt,

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