Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen
natürlich, mit Perücke, Trenchcoat und falschem Schnauzbart. Und donnerstags geht sie auch nicht zum Bridge, sondern zu den Anonymen Glykämikern.
Krass. Ich hätte das NIE gedacht. Andererseits: Hochgradig disziplinierte und spaßbefreite Menschen kamen mir schon immer spanisch vor. Irgendwie nehme ich all den Leuten, die jeden Morgen joggen gehen, auf Fastenkuren schwören, allen weltlichen Genüssen vollends entsagen und nur an einem Blatt Eisbergsalat (ohne Dressing) nuckeln, nicht ab, dass sie das wirklich machen, weil es ihnen Freude bereitet. Bislang glaubte ich immer, ich würde das nur denken, weil ich selbst so ein Ausbund an Maßlosigkeit bin. Jetzt fühle ich mich in meiner Skepsis bestätigt: Alles Lügner! Von wegen Straight Edge! Kein Zucker, kein Alkohol, kein Spaß, kein Sex– wobei, so weit will ich meiner Fantasie bei Günther nun doch keinen Lauf lassen.
Trotzdem: Es ist gut zu wissen, dass Günther eine dunkle Seite hat. Nur für den Fall, dass ich sie mal erpressen muss, hab ich jetzt was in der Hinterhand. Nobody’s perfect, das hat sich wieder mal bestätigt. Nicht mal Günther.
Wir sind also quitt. Vorerst. Wir haben einen stillschweigenden Waffenstillstand vereinbart. Quid pro quo.
Konrad weiß allem Anschein nach nichts von dem geheimen Laster seiner Mutter. Sonst wäre sie auf mich losgegangen wie eine Tarantula und hätte mir einen dieser drögen Rauchen-ist-ungesund-Vorträge gehalten. Hat sie aber nicht, sie blieb ganz ruhig und sah mich mit diesem Blick an, an dem sich Marlon Brando noch eine Scheibe hätte abschneiden können. Irgendwann, möglicherweise aber auch nie, werde ich dich bitten, mir eine kleine Gefälligkeit zu erweisen.
Brrh! Mich gruselt.
Gefahr im Verzug
Mittwoch, 8 . Juni, um 19 : 35 Uhr
Heute früh die Schreckensnachricht: » Meine Mutter hat angerufen.«
Mein Herzschlag beschleunigt sich. Puck-puck, puck-puck, puck-puck. Ich kriege feuchte Hände. Der Pate!
Ich habe noch mal über meine Situation nachgedacht und kam zu einem beängstigenden Ergebnis. Bei der italienischen Mafia ist das so: Wenn der Pate ein Geheimnis von dir kennt, ist das nicht weiter tragisch. Dann erpresst er dich eben, und du machst, was er von dir verlangt. Schön. Damit kann man leben. Wenn DU allerdings ein Geheimnis des Paten kennst… Den Gedankengang muss ich wohl nicht zu Ende spinnen, oder? Ich und meine Lebenserwartung wären also deutlich besser bedient, wenn Günther mich beim Rauchen erwischt hätte und fertig. Aber nein: ICH werde zu einem Geheimnisträger. Das kann nur schiefgehen.
» Sie lässt fragen, ob wir am Wochenende kommen wollen. Da gibt es wohl irgend so einen Baum, den ich mit meinem Vater absägen soll.«
Geheimnis. Axt. Säge. Gefahr im Verzug.
» Kannst du da nicht alleine hinfahren?«
Konrad guckt mich verständnislos an. » Wieso? Ich hatte den Eindruck, dass du es eigentlich ganz nett fandest letztes Mal.«
Ja! Letztes Mal! Da fand ich es auch noch … Nein, also nett wäre jetzt wirklich übertrieben. Ich fand es nicht so schlimm wie erwartet, aber da musste ich auch noch nicht fürchten, von einer grausamen Axtmörderin in Stücke gehackt zu werden und in handlichen Tupperdosen verpackt das Haus zu verlassen!
Ich lächle gezwungen. Ich darf mir nicht in die Karten gucken lassen. Nicht jetzt und nicht morgen.
» Och, du, ich hab so furchtbar viel zu tun…« Und dann gehen mir auch schon die Ideen aus.
» Kannst du das nicht bis dahin erledigt haben?« Konrad macht diesen Dackelblick, für den ich ihn am liebsten erwürgen würde. » Heute ist Mittwoch, das kriegst du doch locker bis Sonntag hin, hm?« Beim »Hm« schlägt er die Augen auf wie ein Rehlein. Klipp-klapp. Kopf ab.
Ich lächle auch. » Ja, aber wenn du und dein Vater den Baum ausbuddelt– was mache ich denn dann in der Zwischenzeit?« Panik steigt in mir auf, weil ich Konrads Antwort erahne.
» Na, du unterhältst dich mit meiner Mutter.«
Prima Idee! Vielleicht tauschen wir unsere besten Pizzarezepte aus? Das sag ich aber nicht laut. Ich lächle stattdessen verkrampft weiter. » Kann ich nicht dir und deinem Vater helfen?«
» Im Garten?« Konrad schaut mich nun doch sehr skeptisch an. » Juli, ich weiß nicht. Du bringst ja sogar das Basilikum um die Ecke.« Konrad schüttelt resolut den Kopf. » Nein, du machst lieber was mit meiner Mutter.«
Jetzt habe ich eine Lächellähmung. Ich kann einfach nicht mehr aufhören zu lächeln.
» Was ist denn eigentlich los mit
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