Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen
komme!
Ich drehte die Karte um und las, was Günther mir in ihrer Sonntagsschrift geschrieben hatte:
Liebe Juli,
viel Glück und viel Segen auf all Ihren Wegen und alles Gute zu Ihrem Geburtstag! Das neue Lebensjahr möchte ich gerne gemeinsam mit Ihnen einläuten und Sie zu einer Sitzung bei Wahrsagerin Cosma einladen. Auf eine glückliche Zukunft!
Ihre Gudrun
Ich weiß nicht, wie ich die folgenden Minuten überstand. Ich versuchte krampfhaft, mir meine Fassungslosigkeit nicht anmerken zu lassen, und darüber vergaß ich wohl, mich gegen Günthers Vorschlag zu wehren, direkt nach einem freien Termin zu suchen.
Ich hab eine Verabredung. Bei einer Wahrsagerin. Mit Günther. Ich bin fick und fertig.
Glaube ist alles
Dienstag, den 12 . Juli, um 10 : 54 Uhr
Wahrsagen also. Ich weiß ja nicht, was ich davon halten soll.
Es ist ja nicht so, als glaubte ich partout nicht an Horoskope, Kaffeesatz und Kristallkugeln. Das tue ich. Wirklich. Aber halt nur genau so lange, wie die Prophezeiung meinen Wünschen entspricht. Das könnte man jetzt opportunistisch nennen. Ist es wahrscheinlich auch. Denn eigentlich bin ich ein Glaubenstourist. Ich reise quer durch die Religionen und picke mir genau die Dinge raus, die mir am besten gefallen. Ich finde die Idee lustig, dass es vor über zweitausend Jahren einen Mann gegeben haben soll, der Wasser in Wein verwandeln konnte. Was für ein Teufelskerl! So jemanden würde ich gerne auf meine nächste Party einladen!
Gleichzeitig finde ich es aber gar nicht so gut, nur an einen Gott zu glauben. Das schränkt die Auswahl doch sehr ein, falls man es sich mit ihm mal verscherzt. Hiob zum Beispiel, der hätte sich bestimmt gefreut, wenn er eine Alternative gehabt hätte! Ich stecke so oft im Schlamassel, ich brauche mehr Möglichkeiten. Das Christentum und der Islam scheiden damit also aus. Hab ich noch was vergessen? Ach ja, das Judentum. Also, das kommt schon mal gar nicht infrage. Deren Lebensmittelregeln gehen ja gar nicht! Kein Fleisch mit Milch– okay, aber nie wieder Spaghetti Carbonara?
Die heidnischen Religionen haben mehr Götter, was meinem Wunsch nach Abwechslung sehr entgegenkäme– allerdings fällt es mir schwer, einen Mann mit einem Hammer zu verehren und an die Kraft des Donners zu glauben.
Wenn ich mich weiter gen Osten richte, stoße ich auf– juhu!– weitere Religionen mit vielen Göttern. Doch für den Hinduismus sehe ich Rinder einfach zu gern als saftiges Steak auf meinem Teller liegen. Der Buddhismus ist mir mit seiner ganzen Stille irgendwie unheimlich. Und die anderen Religionen kenne ich nicht gut genug, als dass ich eine differenzierte Meinung dazu entwickeln könnte. In Anbetracht der schwer lesbaren Schriftzeichen vielleicht aber auch gar nicht so schlecht.
Eigentlich wäre es also die logische Konsequenz, wenn ich esoterisch erleuchtet wäre. Wenn schon alles andere aufgrund meines Lebenswandels, meines fehlenden religiösen Engagements oder auch einfach nur aufgrund meiner Bequemlichkeit wegfällt. Aber Esoterik ist mir viel zu patschuli.
Ich glaube stattdessen an eine universelle Macht mit sechs Armen und einem Rüssel, die irgendwo in einem skandinavischen Götterparadies lebt, das Meerschwein verehrt (unproblematisch, wird nur in Peru gegessen), der bacchantischen Feierei frönt, Mojitos herbeischnippt und von mir keine Opfergaben verlangt. Ich glaube nicht an Schicksal, daher kann ich diese Macht auch nicht dafür verantwortlich machen, wenn was schiefläuft. Meistens krieg ich das Chaos ja auch ganz alleine hin. Und im Kaffeesatz sehe ich das Unheil auch selten kommen.
Wie also kommt Günther auf die Idee, ich würde mich über ein handverlesenes Horoskop freuen? Da kann doch nur Konrad dahinterstecken!
Ich stelle ihn zur Rede. Und er tut ganz verdattert.
» Aber hast du mir nicht neulich Sydneys Horoskop aus der Gala vorgelesen?«
Für einen kurzen Moment fehlen mir die Worte. Dann sammle ich mich und bejahe mit stockendem Atem.
» Na also. Dann glaubst du also an Horoskope und diesen ganzen Astrohokuspokus. Ist doch super!«
Herr, schenk mir Geduld. Aber bitte sofort.
» Fühl dich geehrt. Nadine hat nur ein Wellnesswochenende gekriegt.«
Okay. Das besänftigt mich jetzt doch ein bisschen, denn die Vorstellung, mit Günther zusammen wellnessen zu gehen und ein Wochenende lang im Bademantel und mit Gurkenscheiben im Gesicht durch ein piekfeines Hotel im Taunus zu schlendern (und womöglich in einem Doppelzimmer zu schlafen!), geht
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