Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegen
alles
Sonntag, 17 . Juli, um 21 : 49 Uhr
Ich fuhr am Nachmittag gemeinsam mit Konrad zu seinen Eltern raus in den Taunus. Konrads Mutter stand schon gestiefelt und gespornt vor der Haustür, als wir um die Ecke bogen, und winkte uns heran. Konrad grinste hämisch, gab mir einen spitzen Kuss auf die Wange und sagte: » Genieß es, Baby.« Ich schlug ihn auf die Brust und bedachte ihn mit einigen unflätigen Ausdrücken. Günther kam ihm Schweinsgalopp auf den Wagen zugelaufen, scheuchte Konrad vom Beifahrersitz und gab ihm mit einer wedelnden Hand zu verstehen, dass er ins Haus verschwinden solle.
Im Türrahmen des Spießerbunkers stand Konrads Vater in seiner ausgebeulten Cordhose und einer fleckigen Strickjacke und winkte uns zu. Er strahlte übers ganze Gesicht. Würde ich auch machen, wenn Günther verschwände.
Wir fuhren eine gute halbe Stunde aufs Land hinaus, Günther quasselte mich voll, wie aufgeregt sie sei und dass sie sich schon ganz fürchterlich auf das Treffen freue. Ich nickte freundlich und versuchte mich in seichter Konversation. Irgendwann kamen wir in einer kleinen Ortschaft an, die den Charme der späten Siebziger verströmte, der mir wiederum direkt auf den Magen schlug. Günther dirigierte mich durch den Ort, bis wir in einem relativ modernen Wohngebiet anhielten. Ich staunte Bauklötze. Ich hatte mit einem Hexenhäuschen gerechnet, von Efeu überwuchert, mit Brunnen davor und Käfig dahinter, durch dessen Gitterstäbe Hänsel die Stöckchen hält– zumindest aber mit einem Aussiedlerhof, an dessen Apfelbäumen im Garten bunte Glasflaschen und Traumfänger hingen. Stattdessen ein stinknormales, geradezu abstoßend nichtssagendes Einfamilienhaus mit einem umgekippten Tigerentenfahrrad im Vorgarten und diesen mir vollkommen unverständlichen, alldieweil nutzlosen halben Gardinen am Küchenfenster.
Als wir an der Haustür klingelten (ein ganz normaler Klingelton, nicht etwa ein tibetanischer Gong oder so), öffnete eine Frau Mitte vierzig, von der ich, hätte ich sie auf der Straße getroffen, mit einhundertprozentiger Sicherheit behauptet hätte, sie wäre Grundschullehrerin. Günther reichte der Frau förmlich die Hand.
» Gudrun?«, rief sie. » Willkommen. Ich bin Cosma.«
Und dann drückte Cosma ihr Gegenüber mit einer so überwältigenden Herzlichkeit an sich, dass mir der Mund aufklappte. Es gab ein peinliches Hin- und Hergebussel, dann strahlte Cosma mich an. » Und du musst Juli sein!«
Kunststück, dachte ich, war aber nicht beeindruckt. Für diese Feststellung hätte sich Günther das Geld sparen können.
Ich verkniff mir einen diesbezüglichen garstigen Kommentar und ließ mich ins Haus ziehen. Wir legten Sommerjäckchen, Taschen und– endlich wurde es hier wenigstens ein bisschen alternativ– Schuhe ab und bekamen von Cosma je ein Paar ABS -Socken in die Hand gedrückt. Das sind diese Strümpfe mit den Gumminoppen an der Unterseite. Ich musste ein Lachen unterdrücken, als Günther in ihrem beigefarbenen Rock, der absolut faltenfrei gebügelten weißen Bluse und auf knallroten Rutschsocken vor mir ins Wohnzimmer eierte.
Auch hier sah es vollkommen normal aus. Zu normal! Ich war verwirrt.
» Juli, ich glaube, wir fangen mit dir an«, verkündete Cosma und zeigte auf ein kleines Zimmer, das vom Wohnzimmer abging. » Gudrun, möchtest du hier im Wohnzimmer warten?«
Konrads Mutter verkniff das Gesicht. Ob wegen des Duzens oder wegen der Reihenfolge, wusste ich nicht.
» Meinen Sie nicht, ich kann mit reinkommen? Juli und ich, wir sind doch… Freundinnen.«
Nur mühsam unterdrückte ich einen Hustenanfall. Cosma musste meine überquellenden Augen gesehen haben, denn sie meinte ganz diplomatisch: » Ich spüre Schwingungen, Gudrun, lass mich erst mal mit Juli allein, hm?«
Günther verzog sich mit einem Achselzucken aufs Sofa. Ich folgte Cosma in das kleine Zimmer und nahm an einem Tisch aus garantiert nachwachsender, unbehandelter Birke Platz.
» Möchtest du einen Kaffee?«, fragte Cosma.
» Na klar«, sagte ich und kam mir besonders pfiffig vor. Kaffeesatz also. In irgendwas musste sie ja meine Zukunft lesen.
Cosma stand auf und ging aus dem Raum. Aus der Küche hörte ich Geräusche, die mich entfernt an meine Senseo-Maschine erinnerten. Ich wunderte mich noch, denn meiner Erfahrung nach kann es bei Kaffeepads gar keinen Kaffeesatz geben. Na ja, was soll’s, dachte ich mir, sie ist der Profi.
Cosma kam mit einem Tablett, zwei dampfenden Tassen Kaffee, einem
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