Ich schau dir zu: Roman (German Edition)
bestimmt ein bisschen dümmlich wirkte.
»Ich … ich suche ein Buch.« (Na klar, suchte ich ein Buch!) »Es ist für meinen Mann.« (Ja, natürlich war es für mich, doch wir könnten es ja zusammen lesen).
»Kein Problem. Sehen Sie mal hier nach.«
Er deutete auf eine Reihe dicht gedrängter Bücher, die von einem einzigen Autor waren: Experbac. Seltsames Pseudonym – man dachte dabei eher an Schulprüfungen. Der Mann spürte, dass ich abgelenkt war. Er ließ mich allein. Ich blätterte in ein paar Büchern, las allerdings die Klappentexte nicht, die sich merkwürdig ähnelten. Ich wählte zwei Titel aufs Geratewohl.
»Eine gute Wahl«, sagte der Verkäufer, als er mir das Wechselgeld gab. »Hier haben Sie die Karte unseres Geschäfts. Wenn Sie wollen, können Sie Ihre Kontaktdaten hinterlegen, dann schicken wir Ihnen immer die Listen mit den Neuerscheinungen zu.«
»Nein, das lohnt sich nicht. Ich bin nur auf der Durchreise, ich wohne nicht in Paris.«
Wieder eine Lüge, die mein ausweichender Blick sicherlich verraten hat.
In der Metro nahm ich eines der Bücher aus der Tasche und achtete darauf, den Umschlag mit der Illustration zu verdecken. Ich las gerade die erste Seite, als ich das unangenehme Gefühl hatte, jemand würde über meine Schulter mitlesen. Ich drehte mich um. Mein Sitznachbar drehte sich weg und setzte eine zerstreute Miene auf. Aber von uns beiden war ich die Bestürztere – in meiner Eile, mich mit dem Inhalt vertraut zu machen, hatte ich nicht gemerkt, dass das Kapitel, wie übrigens auch die folgenden, betitelt war: In fetten Majuskeln zog sich HEISSE BEGIERDE über die Seite. Ich schlug das Buch schnell zu und schlich mich zur Tür. Ich war weit von meiner Zielstation entfernt, doch das abschätzige Lächeln, das sich der Unbekannte nun erlaubte, war es wirklich wert, dass ich auf die nächste Bahn wartete.
Zu Hause vertiefte ich mich sofort wieder in die Lektüre. Ich legte mich aufs Bett, um dem Inhalt zuvorzukommen, um mich in Stimmung zu bringen. Vielleicht würde es mich so erregen, dass ich mich selbst befriedigte und einen der schönsten Momente erlebte. Ich war ein bisschen enttäuscht, dass ich nicht die erwartete Erregung verspürte, zumindest nur sehr wenig. Ich las das Buch dennoch in einem Zug und kam zu dem Schluss, dass der Text nicht für mich geschrieben war, sondern für Männer. Es ging darin vor allem um männliche Bedürfnisse, in erster Linie um Fellatio, schnelle Orgasmen, die sich nur wenig mit den Erwartungen des anderen auseinandersetzten. Die Protagonistinnen gaben sich große Mühe, sie verhielten sich wie fleißige Schülerinnen, wahrscheinlich zogen sie daraus ihre einzige Lust. Deftig, ohne Frage. Ich war einigermaßen benebelt und vor allem enttäuscht: Da gab es nichts, was ich noch am selben Abend bei Harry anwenden konnte. Ich nahm das zweite Buch und hatte gleich den Eindruck, dass der Autor ein bisschen mehr Phantasie walten ließ. Die Geschichte spielte in einem Schwimmbad. Ein Paar teilte sich dieselbe Umkleidekabine. Mir gefiel die Schilderung, wie der Mann die Frau auszog. Er machte sie lediglich scharf, und dann gaben sie sich inmitten der anderen Schwimmer ihren Wasserspielen hin, bevor er sie nahm. Ich schloss daraus, dass das Wasser in Schwimmbädern den grundlegenden hygienischen Anforderungen nicht im Entferntesten gerecht wird. Bademütze war Pflicht, Kopulation die Kür. Die Leidenschaft im Chlorwasser setzte sich unter der Dusche fort. Dieses Mal ergriff die Frau die Initiative. Die Seife glitt über die Körper und erleichterte gewisse Liebkosungen, die ein unauffälliges Beiseiteschieben der Badekleidung erforderten. Des Weiteren schloss ich daraus, dass Schwimmbäder kaum überwacht werden. Ich versteckte die Bücher unterm Bett und ging ins Badezimmer. Ich setzte mich aufs Bidet und machte ausgiebig Gebrauch von der Seife, während ich mir ein paar Bilder vorstellte, die meinen Orgasmus zusammen mit einem kraftvollen Urinstrahl beschleunigten, den das Geräusch laufenden Wassers ausgelöst hatte. Diese Szene der Intimpflege würde ich Harry später schildern. Ich müsste nur den richtigen Rhythmus finden, dürfte nichts überstürzen, müsste jedes Detail ausschmücken und zur Not etwas erfinden. Mein Tag war nicht vergeudet.
Der Privatbesuch des Museums geht zu Ende. Ich freue mich an meiner Zweisamkeit mit den Gemälden und trödle. Zu lange offensichtlich. Das Licht geht langsam aus. Ich muss schnell zum Ausgang laufen.
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