Ich schnapp' mir einen Mann
du nur gute Miene zum bösen Spiel, dachte Flora. Sie
wusste sofort, was da ablief. Kollege Heimschröder, der mit seiner
Minipli aussah wie ein Wischmopp im Anzug, wäre eigentlich noch vor
Armani-Bubi dran gewesen mit diesem Sozietätskram, so viel war sicher.
Gemessen an der lichten Höhe seiner Denkerstirn und der Anzahl der
darauf versammelten Längs- und Querfalten war er mindestens fünf Jahre
älter als Armani-Bubi und entsprechend länger dabei. Doch Neid auf
Berufskollegen steht einem erfolgreichen Anwalt nicht gut zu Gesicht,
und so verkniff er sich seinen Ärger, damit auch ja kein Zweifel daran
aufkam, wie optimal er selbst sich für die höheren Weihen eignete.
Flora winkte den Ober heran und bat um die Rechnung. Er
brachte sie, diskret zusammengefaltet auf einem Tellerchen, und machte
eine ablehnende Geste, als Flora ihr Portmonee zücken wollte. Gezahlt
würde an der Kasse, sagte er und verzog sich wieder.
Flora fühlte, wie glühende Röte in ihre Wangen stieg. Sie
schaute verstohlen zum Fenstertisch hinüber und ja, richtig, Mister
Armani hatte es genau mitbekommen. Sie ahnte, was er jetzt dachte.
Nein, sie wusste es. Es musste etwas in der Art sein wie: Armes
Dummchen, hat keine Ahnung, wie man hier bezahlt. Na ja, sie kann sich
das Essen hier sicher nicht oft leisten, so wie sie aussieht.
Flora hätte bersten mögen vor Zorn. Ihre Augen schossen Blitze
auf den Fenstertisch ab. Na warte, jetzt erst recht! Sie warf den Kopf
zurück, winkte erneut den Ober herbei und bestellte eine Tüte für die
Essensreste.
»Für meinen Hund«, behauptete sie dreist, als sie schwaches
Missfallen in seinem Blick bemerkte.
Nachdem er die Tüte gebracht hatte, legte Flora alles
sorgfältig in Servietten eingerollt hinein, sogar das restliche Brot.
Von diesem ganzen Kram würde sie sich locker drei Tage ernähren können,
so lange, bis sich neue Möglichkeiten zur Geldbeschaffung auftaten. Sie
besaß nichts mehr, das sie hätte versetzen können, doch von allen
überflüssigen Absonderungen Wiesels hatte sich eine einzige seiner
Erklärungen in ihrem Kopf eingenistet wie ein Samenkorn, das noch
aufgehen musste. Es war der Kern einer Idee, die noch unausgegoren war,
aber immer mehr Gestalt annahm. Flora musste nur noch drüber schlafen.
Mit einem weiteren – diesmal etwas
gemäßigteren – Rülpsen drehte sie die Tüte an den Griffen fest
zusammen. Wunderbar. Das würde gehen.
Ein schneller Blick zum Fenstertisch. Logisch. Der blöde
Armani-Typ schaute die ganze Zeit zu ihr herüber.
»Ich hab 'nen großen Hund!«, rief Flora ihm zu. »Der braucht
auch Eiweiß!«
»Wer ist die Dame?«, wollte Schnellberger wissen. »Eine
Mandantin? Müssten wir sie kennen?«
»O nein, auf keinen Fall«, sagte Anton schnell. »Ähm, ich
meine … nicht, dass ich wüsste.«
Flora entging kein einziges Wort. Ihr Gesicht drückte tief
empfundene Empörung aus, während sie aufstand, ihre Tüte ergriff, die
zusammengefaltete Rechnung nahm und mit hoch erhobenem Kopf und
durchgedrücktem Kreuz zur Kasse marschierte. Dort blieb sie stehen,
stellte die Tüte ab und klappte die Rechnung auseinander. Nein, das
konnte nicht sein! Sie war einer Ohnmacht nahe. In ihren Ohren brauste
ein Orkan. Auf der Rechnung stand die ungeheuerliche Summe von
hundertdreiundvierzig Mark! Hundertdreiundvierzig! Das waren genau
zwölf Mark mehr, als sie bei sich hatte!
»Ist Ihnen nicht gut?«, fragte die Frau hinter der Kasse
besorgt.
Flora schluckte. »Tut mir leid, aber ich fürchte, ich hab
nicht genug Geld dabei.«
Sie verfluchte ihren Hang zur Ehrlichkeit. Warum hatte sie
nicht einfach gesagt, ja, stimmt, mir ist nicht gut, mir ist sogar
wahnsinnig übel, ich geh nur mal schnell wohin und übergebe mich, das
geht ruck-zuck, bin gleich wieder da. Und dann –
hui! – nichts wie raus ohne zu bezahlen. Aber so war sie nicht
erzogen.
Stell dich immer den Tatsachen, Kind, Augen auf und durch, das
waren weitere Lebensweisheiten ihrer Mutter. In den entscheidenden
Momenten dachte Flora gar nicht daran, zu lügen. Hinterher ja, das
schon, aber dann war es natürlich zu spät. So wie jetzt. Ihr Pech.
Sie öffnete verzweifelt die Tüte und wühlte in den Resten
herum. Mit Tränen in den Augen förderte sie einen Viertelhummer zutage
und legte ihn zusammen mit ihrer gesamten Barschaft und ein paar
fettigen Brotkrümeln auf die Kassentheke. »Wenn ich den Hummer
hierlasse – würde es dadurch ein bisschen billiger?«
Doch die Frau hatte bereits
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