Ich schnapp' mir einen Mann
betreiben?«
Sie atmete immer noch auf dieselbe Weise, durch die Nase ein
und den Mund aus.
»Flora, der Kerl ist gleich über alle Berge. Dann können wir's
ganz vergessen.«
»Anton«, schnaufte sie, durch Nase ein und Mund aus, »das ist
kein Stress!«
»Nicht?«, fragte er ängstlich.
»Nein.«
»Was dann?«
Sie sah ihn bloß mit großen Augen an.
Senkwehen
F lora lag mit angezogenen Beinen auf der
Rückbank und stöhnte zum Erbarmen. Antons Hände am Lenkrad zitterten
fast so sehr wie die Tachonadel, die sich in ungeahnte Höhen
aufschwang. Die alte Rennpappe flog nur so über den Asphalt dahin.
Anton stand am Rande der Hysterie. Dennoch zwang er seine
Stimme zu einem halbwegs normalen Tonfall, als er bemüht sachlich
fragte: »Diese Wehen – worin äußern sie sich genau?«
»Indem sie wehtun, du Idiot!«, ächzte Flora. »Wohin fahren wir
überhaupt?«
»Keine Ahnung«, entgegnete Anton wahrheitsgemäß.
»Dann brauchen wir auch nicht so zu rasen!«
Plötzlich fiel ihm das Ziel wieder ein. »Ich fahr dich in die
Klinik.«
»Das tust du nicht!«
»Doch.«
»Wenn du das machst, dann … dann …«
Dann, dachte Anton, landete sie möglicherweise im Knast. Tat
er es jedoch nicht, landete sie vielleicht auf dem Friedhof. Keine
Frage, was vorzuziehen war.
Doch Flora hatte darüber anscheinend andere Vorstellungen.
»Lieber bin ich tot!«, flüsterte sie mit vor Schmerz weißen Lippen. Sie
atmete langsamer, bis die Wehe abzuebben begann.
»Hast du auf die Uhr gesehen?«, fragte sie.
Anton tat es. »Gleich halb acht.«
»Nein«, nörgelte sie, »ich will nicht wissen, wie spät es ist.«
»Was dann?«
»Die Abstände zwischen den einzelnen Wehen.«
»Muss man sich das merken?«
»Ja doch.«
»Gut. Beim nächsten Mal denk ich dran. In welcher Klinik
möchtest du entbinden?«
»In gar keiner«, behauptete sie. »Ich wollte zu Hause gebären.
Das machen heutzutage viele.«
Anton schüttelte mit Entschiedenheit den Kopf.
»Hör mal«, versuchte Flora ihn zu überzeugen, »das hier ist
kein Grund zur Panik. Beim ersten Kind dauert es meist viele Stunden.
Und früher haben die Frauen ihre Kinder auch zu Hause gekriegt.«
»Aber nicht in einem Trabant. Der ist zu klein dafür. Und im
Hotel geht's auch nicht. Es wäre viel zu laut.«
Wie zum Beweis seiner Worte begann Flora unter der nächsten
Wehe zu jammern und zu stöhnen.
»O Gott, was soll ich tun?«, stieß er hervor. »Wie bin ich da
nur reingeraten?«
Flora atmete geräuschvoll ein und aus und presste beide Hände
gegen ihr Kreuzbein. »Anton, ich habe einen Vorschlag!«, keuchte sie.
»Ich bin für jede Anregung dankbar«, stammelte er.
»Versprich mir, dass wir es so machen!«
»Sag es erst!«
»Versprich es!«, schrie sie gepeinigt auf.
Anton, der nicht mehr aus noch ein wusste, brüllte
verzweifelt: »Ja, ich tu's!«
Tobias und Anita hatten es sich gerade vor
dem Fernseher bequem gemacht, als es Sturm klingelte. Sie sahen
einander an und dachten dasselbe. Anita wollte aufspringen, doch Tobias
hatte nur halb so viel Bauchumfang wie sie und war daher doppelt so
schnell. Er eilte zur Wohnungstür und riss sie auf.
Anton stand vor ihm, Flora auf den Armen.
»Sie kriegt ein Kind«, stotterte er. »Ich meine … Sie
kriegt es jetzt!«
»Bring sie erst mal rein!«, befahl Anita, die hinter Tobias in
der kleinen Diele erschien. Sie wies Anton den Weg zum Wohnzimmer,
klappte mit einem raschen Griff das Sofa zum Bett auseinander und hieß
ihn, sie dort hinzulegen. Anton bettete Flora vorsichtig auf das Sofa
und richtete sich keuchend auf. »Herrgott, ich weiß nicht, ob uns
jemand gesehen hat, ich hab um die Ecke geparkt, aber ich musste sie ja
irgendwie herschaffen, da hab ich sie getragen, ich glaub, am Schluss
war sie schon bewusstlos vor Schmerzen, sie hat sich überhaupt nicht
mehr geregt, o Gott, ich weiß nicht, ob ich das Richtige getan habe,
aber ich musste es ihr versprechen, Scheiße noch mal …«
»Warte«, unterbrach Tobias seinen Redeschwall, »wie schnell
hintereinander kommen die Wehen?«
Anton holte ruckartig Luft. »Erst waren es drei Minuten
Abstand, dann vier, dann fünf. Dann zehn. Und zuletzt fünfzehn.«
»Bist du sicher?«, fragte Anita zweifelnd. »Hast du auf die
Uhr geschaut?« Sie beugte sich über Flora, die still und mit
geschlossenen Augen dalag.
»Natürlich bin ich sicher.«
»Also, noch mal«, meinte Tobias. »Du sagst, dass die Abstände
zwischen den Wehen länger wurden? Nicht
Weitere Kostenlose Bücher