Ich schnapp' mir einen Mann
einfach an. Wie warst du als Kind?«
»Ungezogen und wild.«
»Also genau wie heute.«
»Sagt meine Mutter auch immer.«
»Erzähl was über deine Eltern.«
»An meinen Vater kann ich mich nicht mehr erinnern. Er ist bei
einem Unfall ums Leben gekommen, als ich zwei war. Meine Mutter hat
mich und Dora – das ist meine Schwester, die ist drei Jahre
älter als ich – allein aufgezogen. Das heißt, mit Omas Hilfe.
Oma hatte auch Erfahrung im Alleinerziehen, weißt du. Opa ist nämlich
im Krieg gefallen, und da stand sie mit Mama und meinem Onkel ganz
alleine da. Meine Schwester Dora lebt heute in einem Kaff am
Mississippi, in den USA. Bob, ihr Mann, war hier in der Gegend als
Soldat stationiert, und als sein Dienst zu Ende war, ist sie mit ihm
nach drüben gezogen. Seine Familie hat da eine Farm. Sie haben zwei
wunderbare Kinder, mit einer Haut wie Milchschokolade. Bob ist farbig,
musst du wissen. Mama ist vor fünf Jahren zu ihnen rübergegangen, als
Oma gestorben ist. Sie bekniet mich schon lange, dass ich auch
nachkomme.«
»Und? Willst du's machen?«
»Um Gottes willen! Die nächste Stadt ist da fast hundert
Kilometer weit weg. Das Dörfchen, in dem sie leben, hat vielleicht
fünfzig Einwohner. Dieses Nest liegt absolut am Ende der Welt. Außerdem
könnte ich mich nie an dieses sumpfige, schwüle Klima gewöhnen. Ich hab
Mama und Dora und die Kinder schrecklich gern, aber ich könnte dort
nicht leben. Zweimal war ich zu Besuch drüben und fand es beide Male
grauenvoll. Ich bin lieber unter Menschen, in einer vernünftigen Stadt.«
»Hier gibt's also niemanden mehr von deiner Familie?«
»Bloß noch meinen Onkel. Der lebt aber irgendwo in Tirol.
Gesehen hab ich ihn das letzte Mal auf Omas Beerdigung.«
»Und weiter?«
»Weiter … Du willst sicher wissen, was ich gelernt
hab, oder?«
»Zum Beispiel.«
Sie erzählte ihm von ihrem nutzlosen Magisterabschluss, von
ihren drei fehlgeschlagenen Männerbeziehungen (zuletzt Heiner) und
ihrem großen Traum, Schriftstellerin zu werden.
»Am schlimmsten war es, arm zu sein«, sagte sie. »Irgendwie
waren wir immer arm. Als ich klein war, fehlte ständig an allen Ecken
und Enden das Geld. Es hieß immer bloß: Dafür ist kein Geld da. Oder:
Das ist zu teuer. Oder: Das können wir uns nicht leisten. Oder: Darauf
müssen wir erst sparen. Es betraf so ziemlich alles, was für Kinder und
junge Mädchen interessant ist. Spielsachen, Fahrräder, Kino, Eissalon,
hübsche Klamotten oder Schuhe, Urlaub am Meer. Damals hab ich mir
geschworen, dass ich später mal genug verdienen würde, um mir endlich
all das leisten zu können. Danach, während des Studiums, war ich zwar
auch andauernd pleite, aber da hat es mich nicht mehr so gestört. Ich
bildete mir ein, dass es nur noch eine Frage der Zeit wäre, bis der
Rubel rollt. Nur erst noch das Examen, und dann geht's los mit dem
Geldscheffeln, so denkt man ja als Student. Aber natürlich war es nicht
so. Jedenfalls nicht bei mir.« Sie zögerte, dann seufzte sie. »Ein
halbes Jahr später hab ich gemerkt, dass ich genauso dastehe wie Mama
früher. Keinen Deut besser. Mit einem Beruf, der nichts einbringt. Und
mit einem Baby, das genauso arm sein wird wie ich.« Sie hielt inne und
räusperte sich. »Du hattest sicher nie Geldprobleme, oder?«
»Nein«, bekannte Anton freimütig. »Meine Eltern waren immer
wohlhabend. Sie besitzen in L. ein großes Herrenbekleidungsgeschäft.
Mir hat es niemals an irgendwas gefehlt.«
»Und beruflich ist dir wohl auch alles zum Besten geraten,
oder? Du hast ja als Anwalt eine richtige Bilderbuchkarriere gemacht!«
»Bis du mir dazwischengefunkt hast.«
Flora erstarrte, doch Anton lachte und legte seine Arme fester
um sie.
»Das war ein Scherz, Flora!«
»Kann ich leider nicht drüber lachen.«
Sie schwieg eine Weile, dann sagte sie unvermittelt: »Anton?«
»Ja?«, murmelte er schläfrig.
»Ich hab dir noch nicht dafür gedankt, dass du für mich im
Steakhaus die restliche Rechnung bezahlt hast.«
»Es waren doch nur ein paar Mark.«
»Darum geht's nicht. Du hast mir geholfen, als ich in der
Klemme war.«
»Das hätte jeder getan.«
»Nein, das stimmt nicht. Es waren viele Leute da, aber du
warst von allen der Einzige, der aufgestanden ist und mir ausgeholfen
hat. Vielen Dank noch mal.«
»Nicht der Rede wert.«
»Doch, das ist es«, beharrte sie. »Und weißt du auch, warum?
Weil ich dumme Gans stinkwütend auf dich war, statt dir dankbar zu
sein! Ich hab mich richtig
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