Ich schreib dir morgen wieder
sie immer nur, und hinter diesem Lächeln hätte sich eine Million möglicher Reaktionen verbergen können. Vielleicht machte Dad genau das so nervös: dass Mum so viel für sich behielt. Vielleicht wusste er einfach nie genau, was sie fühlte. Sie waren nicht wie andere Paare, die manchmal genervt die Augen über eine Bemerkung des anderen verdrehen oder extra lange auf irgendeiner Bemerkung herumreiten, die ihnen nicht gepasst hat. Nein, meine Eltern waren immer entsetzlich nett zueinander. Mum nebulös und undurchschaubar, Dad ständig bereit zu Komplimenten. Vielleicht verstehe ich auch nur nicht, was zwischen ihnen abging, weil ich noch nie richtig verliebt war. Vielleicht besteht Liebe ja darin, dass man jedes Mal, wenn der Partner etwas ganz Banales tut oder sagt, vor Begeisterung eine La-Ola-Welle von hier bis Usbekistan startet. Nur habe ich so was eben noch mit niemandem erlebt.
Ich hatte schon immer das Gefühl, dass mein Dad und ich absolut gegensätzlich waren. Wenn er befürchtete, jemand könnte sich von ihm abwenden, überhäufte er die Betreffenden mit Aufmerksamkeit und endlosen Komplimenten. Kamen beispielsweise Freunde von Mum zu Besuch, gingen sie ihm meistens ziemlich auf die Nerven, und solange sie da waren, ignorierte er sie, aber sobald sie Anstalten machten zu gehen, verabschiedete er sich von ihnen aufs herzlichste, mit Umarmungen, Lächeln und guten Wünschen. Dad war ein Mensch, der an der Haustür stand und winkte, bis er das Auto der Wegfahrenden nicht mehr sehen konnte. Ich stellte mir Mums Freundinnen vor, wenn sie nach Hause kamen: »George ist so ein Gentleman. Wie er uns verabschiedet und wie er mir ins Auto geholfen hat. Ich wollte, du würdest dich meinen Freunden gegenüber auch so verhalten, Walter.«
Für Dad war der letzte Eindruck immer wichtiger als der erste, was seinen Tod umso symbolischer erscheinen lässt. Ich war das genaue Gegenteil. Genau wie ich es Barbara leichtgemacht hatte, mich stehenzulassen, indem ich zickige Bemerkungen von mir gab, so hatte ich Mum und Dad auch behandelt. Ich bringe die Leute dazu, mich in dem Moment zu hassen, in dem sie gehen müssen. Mir war nicht klar, dass die anderen sich später an mein verwöhntes Getue und meine sarkastischen Kommentare erinnerten. Schon als Kind habe ich mich so benommen.
Früher habe ich Mum und Dad immer angebettelt, sie sollten nicht so oft ausgehen, aber sie nahmen keine Rücksicht darauf. Eigentlich blieben sie nur zu Hause, um Energie zu tanken, und dann waren sie es meistens so schnell leid, zusammen zu sein, dass sie den Abend in separaten Zimmern verbrachten. Wir kamen nie dazu, alle etwas gemeinsam zu machen. Inzwischen habe ich begriffen, dass ich mir das mehr alles andere wünschte. Ich sehnte mich danach, dass wir als Familie Zeit miteinander verbrachten, ganz normal und entspannt zu Hause. Nicht diese gezwungenen Augenblicke, in denen sie mich zu sich riefen, um mir ein Geschenk zu überreichen oder irgendeine kostspielige Überraschung anzukündigen.
»Also, Tamara, du weißt hoffentlich, was für ein Glück du hast«, begann Mum dann meistens, denn ihr machte das schlechte Gewissen über unser Luxusleben am meisten zu schaffen. »Es gibt eine Menge Jungen und Mädchen, die nicht solche Möglichkeiten haben wie du …«
Obwohl ich in meinem Kopf nicht die freudige Erregung verspürte, die meine Eltern sich wahrscheinlich vorstellten, bemühte ich mich dennoch, ein entsprechendes Gesicht zu machen. Ich hörte nur meine eigene Stimme im Kopf, die sagte: Bla, bla, bla, kommt endlich zum Punkt, was wollt ihr mir denn jetzt schon wieder schenken?
»… aber weil du immer so dankbar für die schönen Dinge warst, die du bekommen hast, und für uns außerdem so eine besondere Tochter bist …«
Bla, bla, bla. Es ist kein Geschenk, denn ich sehe nichts dergleichen im Zimmer. Mum hat keine Hosentaschen, Dads Hände stecken tief in seinen, also ist es nichts, was man am Körper verstecken kann. Vielleicht unternehmen wir was? Heute ist Mittwoch. Am Donnerstag geht Dad Golf spielen, Mum kriegt ihre monatliche Darmspülung, ohne die sie höchstwahrscheinlich explodieren würde, also steigt die Sache nicht vor Freitag. Am Wochenende. Nicht allzu weit weg, denn sonst lohnt sich ein Wochenendausflug nicht.
»Wir haben darüber gesprochen und finden …«
Bla, bla, bla. Vielleicht ein Wochenende in London? Aber in London sind sie ständig, und ich war auch schon ein paarmal dort. Nein, für London sind
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