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Ich sehe dein Geheimnis

Ich sehe dein Geheimnis

Titel: Ich sehe dein Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Harrington
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Schreibtisch. Nichts. Auf dem Schreibtischstuhl lag ein verwaschenes T-Shirt. Frustriert stützte ich mich auf die Stuhllehne, schloss die Augen und öffnete meinen Geist.
    Manchmal kommt sie langsam, manchmal ganz plötzlich und manchmal gar nicht. Diesmal kam ausgerechnet die Vision, die ich am wenigsten sehen wollte, als erstes an die Oberfläche. Ich sah sich windende Körper und hörte lustvolles Stöhnen. Die Vision war klein, als wäre sie weit entfernt. Sie war von einem schwarzen Rand umgeben. Dann begriff ich: Ich sah, was Billy gesehen hatte. Durch das Loch im Boden seines Motelzimmers.
    Ich sah, wie mein Bruder und Victoria es taten.
    Ich ließ T-Shirt und Stuhl los, wich zurück und riss die Augen auf.
    »Was ist?«, fragte Gabriel. »Was hast du gesehen?«
    Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte den letzten Rest d er Szene aus meinen Gedanken verscheuchen. »Nichts.«
    Er war erstaunt. »Nichts? Du hast nichts gesehen?«
    »Tut mir leid«, zischte ich. »Dafür gibt es keine Selbstbedienung. Man kann nicht einfach eine extragroße Portion Visionen bestellen.«
    Gabriel beschwichtigte: »Nein, das war keine Kritik. Es sah wirklich so aus, als hättest du etwas gesehen.«
    »Noch nicht«, log ich und suchte weiter, um Gabriel wenigstens irgendetwas bieten zu können und nichts verraten zu müssen.
    »Seine Mutter hat doch gesagt, er habe in jener Nacht am Schreibtisch gesessen«, sagte Gabriel. »Fass doch mal die Sachen auf dem Tisch an.«
    Endlich ein guter Vorschlag von ihm. Ich berührte den Stapel mit Magazinen, ein paar Rechnungen – nichts. Dann griff ich nach einem ganz normalen Stift und sah sofort, wie Billy etwas schrieb. Ich spürte, dass er starkes Herzklopfen hatte. Es musste etwas Wichtiges gewesen sein.
    »Er hat etwas geschrieben«, sagte ich. Ich blickte suchend umher und entdeckte einen kleinen weißen Notizblock. »Hier drauf. Hier hat er etwas hingeschrieben.«
    »Hoffentlich hat er fest aufgedrückt«, sagte Gabriel und wühlte in der Schublade nach einem Bleistift. Er hielt den Bleistift leicht schräg und schraffierte das oberste Blatt des Notizblocks, bis Worte zu erkennen waren. Die Worte, die Billy auf das fehlende Blatt geschrieben hatte. Vier Worte.
    Ich habe dich gesehen.

Vierzehn
    »Ich habe dich gesehen«, las ich laut vor. »Was ist das? Eine Drohung?«
    »Klingt ganz danach.«
    Die für mich wichtigste Frage aber war: Wen? Wen hatte Billy gesehen? Hatte er nur Perry und Victoria auf dem Bett gesehen oder auch den Mörder? Hätte Perry so einen Zettel bekommen, dann hätte er mir bestimmt davon erzählt, oder?
    »Die Nachricht muss dem Mörder gegolten haben«, sagte ich.
    »Warum sollte Billy ein solches Spiel treiben? Warum sollte er nicht gleich zur Polizei gehen?« Gabriel überlegte. »Er muss sich etwas erhofft haben. Er wol lte ihn erpressen.«
    »Und wo ist er jetzt? Hat er genug Geld erpresst und die Stadt verlassen? Oder hat er Angst bekommen und ist geflohen?«
    »Jedenfalls sind wir hier fertig. Lass uns gehen«, unterbrach Gabriel meinen Gedankengang.
    Wir verabschiedeten uns höflich von Betty und steuerten auf Gabriels rotem Jeep in der Einfahrt zu.
    »Was machen wir jetzt?«
    Gabriel lehnte sich gegen die Motorhaube. »Ich weiß, wie wir ihn finden könnten. Mit den Pings.«
    Das von der Windschutzscheibe reflektierte Sonnenlicht blendete mich. Ich hielt schützend eine Han d vor die Augen. »Den was?«
    »Billys Mutter hat sein Handy erwähnt. Handys senden alle paar Minuten Signale, die sogenannten Pings, zum nächsten Funkturm und der Turm leitet die Information an den Netzanbieter weiter.«
    »Speichern die Mobilfunkfirmen die Daten?«
    »Manche nur den letzten Ping, andere die der letzten vierundzwanzig Stunden. Und das Telefon muss natürlich eingeschaltet sein, um überhaupt Pings aussenden zu können.«
    »Lass uns den Anbieter anrufen und herausfinden, was sie uns sagen können«, sagte ich.
    »Nicht so schnell. Dazu braucht man eine Genehmigung.« Er schloss das Auto auf. »Vielleicht kann mein Vater eine erwirken. Mal sehen.«
    Als ich nach Hause zurückkam, war es beinahe fünf Uhr. Ich musste zugeben, dass es mir gefiel, kommen und gehen zu können, wann ich wollte. Normalerweise war ich ans Haus gefesselt. Mom wollte, dass Perry und ich so viel Zeit wie möglich zu Hause verbrachten, falls Kunden unangemeldet vorbeikamen. Das galt vor allem im Sommer, wo ich am allerliebsten viel Zeit draußen verbringen würde. Die Arbeit für die Polizei gab

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