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Ich sehe dein Geheimnis

Ich sehe dein Geheimnis

Titel: Ich sehe dein Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Harrington
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fünfzehn Jahre her, Mom«, sagte ich leise, aber mit fester Stimme. »Er kommt nicht mehr zurück. Dad kommt nie wieder nach Hause. Wir wissen nicht einmal, ob er noch lebt.«
    Es war, als sei sie durch meine Berührung zur Salzsäule erstarrt, denn sie bewegte sich nicht, atmete nicht, auch nicht, als ich ihr Gesicht losließ. Dann rann ihr eine einsame Träne die Wange hinunter. Sie rannte an mir vorbei aus der Küche.
    Das hatte ja gut geklappt. Jetzt musste ich ihr für unsere große Verabredung morgen Abend auch noch Blumen kaufen.
    Am nächsten Morgen wachte ich auf, streckte mich, öffnete das Fenster und holte tief Luft. Man musste keine außergewöhnliche Gabe haben, um zu merken, dass es bald ein Gewitter geben würde. Die Luft war feucht, der Himmel dunkel.
    Ich sah auf mein Handy. Gabriel hatte eine SMS geschickt – sein Vater hatte die Genehmigung erhalten. Während wir auf die Informationen des Netzanbieters warteten, konnte ich nichts weiter tun. Also würde ich duschen und dann nachsehen, ob für heute Kundentermine vereinbart waren.
    Als ich eine halbe Stunde später nach unten kam, polierte Mom gerade den großen Mahagonitisch im Wohnzimmer. Seit unserem Streit hatten wir nicht miteinander geredet. Ich wusste, dass wir unser Gespräch nicht dort fortsetzen würden, wo es geendet hatte. Nach schwierigen Unterhaltungen blickte Mom lieber nach vorne und tat, als hätten sie nicht stattgefunden.
    Ich lehnte am Türrahmen. »Bereitest du den Raum für einen Termin vor?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das ist Wunschdenken. Un ser erster Termin ist heute um elf. Vielleicht kommt vorher noch jemand spontan vorbei, der mit den Wartezeiten bei Madame Maslov unzufrieden ist.«
    Ich berührte sie sanft an der Schulter. »Das Geschäft wird auch wieder besser laufen. Wie pflegst du zu sagen: In unserer Branche ist Mundpropaganda die beste Werbung. Sobald es sich herumspricht, dass keine ihrer sogenannten Vorhersagen eintrifft, werden die Leute wieder zu uns kommen.«
    Mom lächelte ein bisschen, aber ich wusste, dass sie sich dazu zwang. Ich wünschte, ich hätte gestern nichts über Dad gesagt. Angesichts der Sorgen um unser Geschäft brauchte sie das nicht auch noch.
    »Weckst du bitte deinen Bruder? Er war diese Woche wirklich faul.«
    Wenn sie wüsste …
    Ich ging nach oben. Moms Schlafzimmer war das große am Ende des Flurs. Perrys und mein Zimmer lagen einander gegenüber.
    Ich überlegte mir gerade möglichst grausame Wec kmethoden für meinen Bruder, als ich die Dusche hörte. Mist, er war schon wach. Ich würde einfach in seinem Zimmer auf ihn warten.
    Als ich eintrat, fiel mir sofort das dort herrschende Chaos auf. Kleidung lag überall auf dem Boden verteilt, auf dem Nachttisch stand ein Stapel Teller voller Krümel und auf dem Teppich lag eine leere Plastikflasche. Ich wollte nicht herumspionieren, nur ein bisschen aufräumen. Ich hob einen Stapel Bücher vom Boden auf, um sie ins Regal über dem Schreibtisch zu stellen. Dabei fiel ein Blatt Papier aus dem Stapel und glitt unter das Bett. Auf allen vieren zog ich es hervor und schnappte nach Luft.
    Victoria Happel lächelte mich an.
    Auf dem Bild sah sie ziemlich fröhlich aus. Sie hielt ein Glas in Händen, als habe sie gerade mit jemandem angestoßen. Ihre dunklen Augen blickten nach links und ihr Gesicht sah fröhlich aus, sie lächelte breit und schien kurz davor, in Lachen auszubrechen. Dieser Augenblick, den jemand mit der Kamera festgehalten hatte, machte sie für mich wirklicher als das körnige Foto in der Zeitung oder der unscharfe nackte Körper in meinen Visionen. Sie tat mir so leid: Betrogen von ihrem Freund und ihrer besten Freundin war sie allein in den Urlaub gefahren, um ihre Probleme zu vergessen – und nun war sie tot.
    Über dem Foto stand in großen Buchstaben: Haben Sie diese Frau am Samstagabend gesehen? Unter dem Bild stand in kleinerer Schrift, man solle sich gegebenenfalls bei der örtlichen Polizeistation melden. Aber dieser Flyer sah nicht aus, als stamme er von der Polizei. Er war nicht am Computer erstellt worden, sondern handgeschrieben. Das Bild war aufgeklebt und das Ganze kopiert worden. Jemand hatte den Flyer selbst gemacht.
    »Was machst du hier?«
    Vor Schreck ließ ich den Flyer los. Er landete auf Perrys nackten Füßen. Mein Bruder stand in ein Handtuch gewickelt und mit tropfnassen Haaren vor mir.
    »Ich wollte aufräumen und hab –«
    »Du hast mein Zimmer durchsucht.«
    »Nein! Ich habe den

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