Ich sehe dich
dachte, so blöd ist Christina nicht, ihren Mann analog zu ihrer Fantasie zu töten, aber jetzt … Wenn Kathi es getan hat, warum nicht auch Christina? Seit der Geschichte mit dem Geld war sie richtig besessen davon, Paul endlich loszuwerden.«
»Naja«, sagte Suphie schließlich, »vielleicht tun wir Chrisi wirklich Unrecht.«
»Blödsinn!« Marie spuckte das Wort fast aus. »Christina war’s, basta. Sie hat’s genauso gemacht, wie sie’s beschrieben hat in ihrer Fantasie: vergiftet mit Eibensamen. Wer kommt schon auf so was. Und niemand kannte die Fantasie, außer uns. Oder war’s eine von euch?«
»Jetzt lass mal gut sein, Marie«, sagte Valeska. Sara fragte sich, ob Marie in Tinis Fußstapfen treten wollte. Sie war enttäuscht. Sie hatte sich mehr Solidarität erwartet. Wie hätte Tini wohl reagiert, wenn nicht sie, sondern Marie im Gefängnis gesessen hätte? Statt Marie zu verurteilen, hätte sie sich überlegt, wie sie ihr helfen könnte. Vielleicht konnte man das nicht von Marie erwarten, aber doch von Valeska – wenn sie nicht genauso an Christinas Unschuld zweifelte wie die anderen.
»Mir hat die Folterkammer geholfen«, sagte Suphie in die entstandene Stille hinein und fixierte Petra dabei. »Ich hatte nie vor, das zu tun, was ich geschrieben habe, aber mir ging es danach viel besser.«
Valeska blickte sie dankbar an.
»Mir auch. Ich finde das echt unfair von euch, jetzt auf Valeska rumzuhacken. Voll scheiße ist das.« Rote Flecken leuchteten in Marens kindlichem Gesicht.
»Danke, Maren«, sagte Valeska. »Für alle nochmal klipp und klar: Folterkammerfantasien sind und bleiben Fantasien, und das habe ich immer betont. Wenn irgendeine unter euch das anders verstanden hat und denkt, das sei die richtige Methode, um einen Mann loszuwerden, dann stopp. Die einzig zulässige Methode ist, ihn zu verlassen.«
»Nicht immer.«
Alle Köpfe drehten sich zu Anja, die sich als Einzige bislang nicht an der Diskussion beteiligt hatte.
»Meiner hat mein Leben erst zerstört, nachdem ich ihn verlassen hatte. So kann’s auch gehen.«
Sara betrachtete die gepflegte Frau, die sich in ihrem eleganten Kostüm deutlich von den anderen abhob.
»Ich hab’s dir schon mal gesagt«, entgegnete Valeska, »du hast Beweise gegen ihn, geh vor Gericht, verlange Schadensersatz.«
Anja lächelte gequält. Sara hatte den Eindruck, dass ihr blasses Gesicht noch eine Nuance weißer geworden war.
»Wie denn? Ich kann ihm ja nichts nachweisen. Der große Heiner Grossmann hat sich perfekt abgesichert.«
»Was sagt dein Anwalt?«
»Wir haben zu wenig in der Hand. Würde mich nicht wundern, wenn er mit Heiner unter einer Decke steckt. Männer halten doch immer zusammen.« Sie stand auf und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an der Stuhllehne fest. »Manchmal muss man sich wehren … mit allen Konsequenzen.«
»Aber doch nicht so!«, platzte Sara heraus. »Wenn ihr alle so denkt, ist es kein Wunder, dass ihr annehmt, dass Ti… dass diese Christina ihren Mann getötet hat.«
Sie verstummte und spürte die Blicke der Frauen auf sich. Das hast du ja toll gemacht. Wie unauffällig .
»Warum regst du dich so auf?« Petra musterte sie kühl. »Du kennst Christina doch gar nicht. Oder?«
Sara spürte, wie sie rot wurde. Sollte sie ihre Tarnung aufgeben? Sie ballte ihre nassgeschwitzten Hände zu Fäusten. »Mich stört an eurer Diskussion nur, dass ihr jemanden verurteilt, ohne einen Beweis zu haben.«
»Nein, Sara, das tun wir nicht.« Valeska hob beschwichtigend ihre Hände. »Wir würden Christina nie verurteilen. Nicht mal, wenn sie ihren Mann umgebracht hätte. Dafür verstehen wir sie zu gut.«
Nein, das tut ihr nicht! Ihr versteht gar nichts! Sara hätte es am liebsten laut herausgeschrien. »Aber …«
Marie unterbrach sie unwirsch. »Christina braucht dich nicht als –«
»Das reicht, Marie.« Valeska streckte den Arm aus und zeigte Marie ihre aufgestellte Handfläche, die Finger zur Decke gerichtet. Es war die gleiche Handbewegung, die Petra zuvor benutzt hatte, die typische Bewegung eines Schülerlotsen, um Autos zu stoppen. Dann wandte sie sich an Maren und fragte freundlich: »Bist du so weit?«
21
»Ist hier noch Platz?«
Sara sah von ihrem Notizbuch auf und bemerkte, dass sich die Kneipe in der letzten Viertelstunde gefüllt hatte. Sie deutete auf den Platz neben sich. »Der ist besetzt, die anderen sind frei.«
Zwei Frauen und ein Mann setzten sich zu ihr an den Tisch und begannen sofort ein
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