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Ich sehe dich

Titel: Ich sehe dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Clark
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locken, damit sie sich verriet, ihm einen Anhaltspunkt gab, wo sie sich versteckte?
    »Nein!«, schleuderte sie dem Bildschirm entgegen, sie nahm die Tüte vom Mund, zerknüllte sie mit beiden Händen und warf sie von sich. Sie würde ihm diese Macht über sie nicht geben. Nie wieder. Nie würde er sie finden, nie würde er sie hier vermuten, nur wenige Kilometer von Fürstenfeldbruck, von seiner Wohnung, von ihrer persönlichen Hölle entfernt.
     
    Blackwidow: verpiss dich, charly
    Charly: Warum sollte ich?
    Blackwidow: scheißkerle wie du sind hier unerwünscht
    Charly: Sagt wer?
    Blackwidow: ich
    Charly: Wer ist ich?
    Blackwidow: hau ab
    Charly: Ich habe dich gefunden.
    Blackwidow: einen scheiß hast du
    Charly: Vielleicht stehe ich schon vor deiner Wohnung? Uh! Wie du heute Nacht wohl schlafen wirst?
    Blackwidow: ah ja? Wozu dann der zirkus hier?
    Charly: Wer weiß? Vielleicht, um dir zu zeigen, dass du dich nicht verstecken kannst? Ich sehe dich, immer, überall …
    Blackwidow: verpiss dich, sonst mach ich dich fertig
    Charly: So wie damals?
    Blackwidow: nein, diesmal wirst du nicht wieder aufstehen
    Charly: Wirklich? Da wäre ich mir nicht sicher. Du hattest deine Chance. Träum süß, Lydia, oder soll ich Valeska sagen?
    Charly ist jetzt offline.
     
    Lydia starrte auf seinen letzten Satz. Träum süß, Lydia, oder soll ich Valeska sagen? Er kannte ihren neuen Namen. Was wusste er noch? Wie sie aussah? Wo sie wohnte? Sie spürte das Brausen in ihrem Kopf, hörte ihr abgehacktes Atmen. Wie blind tastete sie nach der Tüte, erinnerte sich, dass sie sie weggeworfen hatte. Sie zwang sich aufzustehen, doch kaum hatte sie zwei Schritte zum Fenster gemacht, versagten ihr die Beine, und sie sank, ihrem Körper machtlos ausgeliefert, zu Boden.

30
    Bingo.
    Er inhalierte tief.
    Du bist schon wieder in meine Falle getappt.
    Jetzt hatte er sie genau dort, wo er sie haben wollte. Die Zigarette in seiner Hand war heruntergebrannt. Er drückte sie aus. Was sie wohl gerade tat?
    Brichst du zusammen? Hyperventilierst mit deinem starren Blick? Rennst du zur Haustür und kontrollierst panisch die Schlösser?
    Oder packst du schon deine Reisetasche?
    Erinnerst du dich noch, was passierte, als du das letzte Mal deine Reisetasche gepackt hattest?
    Ja, ich bin sicher, du erinnerst dich. Ich bin sicher, du wirst es nie vergessen.
    So wie ich deinen Blick damals nie vergessen werde.
    So blickt ein verwundetes Tier, das in der Falle sitzt und spürt, dass es verloren ist.
    Spürst du es schon?
    Das Unvermeidliche? Egal, hinter wie vielen Perücken und Pseudonymen du dich versteckst, dein Schicksal wird dich immer finden.
    Hast du vergessen, dass ich dein Schicksal bin?
    Er zündete sich eine neue Zigarette an und lehnte sich zurück.
    Du hast keine Chance mehr.
    Das weißt du.
    Er lachte in sich hinein. Genauso hatte er es sich vorgestellt.
    Die Treibjagd hat begonnen. Das Luder rennt. Aber egal, wohin es rennt, es kann nicht mehr entkommen.

Montag, 15. Dezember
     

31
    Der schwarze Flügel vor den Türen zur Dachterrasse fiel Sara als Erstes ins Auge. Neben dem Instrument führte eine Wendeltreppe nach oben, dahinter hingen vier Bilder, silbern gerahmte Radierungen in zarten Farben. Ihre Aufmerksamkeit galt jedoch den zwei gerahmten Fotos auf dem glänzenden Instrument. Auf einem war Michael Arm in Arm mit einer auffallend schönen Frau zu sehen, das andere zeigte ihn mit einem älteren Herrn. Verstohlen betrachtete Sara das Foto von Michael und der Blondine. Wie schön sie war, trotz der Narbe am Kinn. Seine Freundin? Neben der Küchentür stand ein länglicher Esstisch. Ihm gegenüber erstreckte sich ein weißes Ecksofa. Die Helligkeit und der moderne Schnitt der großzügigen Dachwohnung überraschten Sara. Sie hatte sich Michaels Adresse heute Morgen mit Verwunderung notiert und festgestellt, dass er nur wenige Minuten vom KulturLaden entfernt im Bahnhofsviertel wohnte. Noch immer verband sie die Schwanthalerstraße mit heruntergekommenen Mietshäusern, grauen Innenhöfen, schmuddeligen Kneipen und zahlreichen Dönerbuden. Erstaunt hatte sie auf dem Weg festgestellt, wie sehr sich auch diese Straße in den letzten Jahren verändert hatte, freundlicher geworden war, ohne ihren multikulturellen Charakter zu verlieren. Der Altbau, in dem Michael wohnte, war in sonnigem Gelb gestrichen und mit einem neuen Aufzug ausgestattet. Schon letzten Freitag, als sie sich nach der Gruppensitzung von Frauenwehr mit Michael in der Kneipe beim

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