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Ich sehe dich

Titel: Ich sehe dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Clark
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Rosen, keine emotional aufgeladene Entscheidung zu fällen, sondern eine Liste zu erstellen. Ganz in Ruhe sollte sie alles aufschreiben, was an ihrer Ehe positiv und was negativ war, um dann zu sehen, in welche Richtung sich die Waage neigte. Aber die Waage war längst gekippt.
    Die Autos vor ihr bewegten sich im Schneckentempo. Sie wechselte die Spur und bog in die nächste Seitenstraße ein, um sich durch die kleinen Straßen des Westends zum Möbelhaus an der Theresienhöhe vorzukämpfen. Hoffentlich war die Fußballbettwäsche aus der Werbung nicht ausverkauft. Wie seltsam, normalerweise hatte sie so gut wie nie etwas im Westend zu tun, ihr Leben spielte sich im Dreieck Neuhausen – Schwabing – Innenstadt ab, aber jetzt steuerte sie schon zum dritten Mal in fünf Tagen dieses Viertel an, und es gefiel ihr immer besser. Vielleicht sollte sie das als Zeichen nehmen und sich hier nach einer bezahlbaren Wohnung umsehen. Ein Piepen läutete die Siebzehn-Uhr-Nachrichten ein. Sie hörte nur mit halbem Ohr hin. Plötzlich wurde sie aufmerksam und drehte die Lautstärke auf.
    … beschäftigt derzeit ein weiterer mysteriöser Mordfall in Schwabing die Polizei. Bei dem Opfer handelt es sich um den bekannten Strafverteidiger Heiner Grossmann. Die Polizei geht von einem durch einen Rechtsstreit motivierten Racheakt aus und sucht nach einer Zeugin, die zur Tatzeit in der Nähe des Tatorts gesehen wurde. Die mittelgroße Frau trug einen dunklen Kapuzenpullover, einen grünen Parka, Jeans und einen schwarzen Rucksack mit hellem Nike-Schriftzug. Sachdienliche Hinweise werden von jeder Polizeidienststelle entgegengenommen. Zum Wetter ….
    Sara stellte das Radio leise. Durch einen Rechtsstreit motivierter Racheakt? Die Polizei ermittelte nicht mehr bei Frauenwehr? Warum verknüpfte sie diesen Mord nicht mit dem von Paul? Das würde ihre ganze Verteidigungsstrategie zerstören! Hastig wühlte sie auf dem Beifahrersitz in ihrer Tasche, bis sie das Handy ertastete. Sie legte es in den Schoß und fummelte in der Manteltasche nach Michaels Visitenkarte. Mit einem Auge auf den Verkehr tippte sie seine Nummer ein und klemmte das Handy zwischen Ohr und Schulter. Auf das lang gezogene Freizeichen meldete sich der Anrufbeantworter.
    »Michael, Sara hier, ich hab gerade Nachrichten gehört, die sagen, Heiners Mord war ein Racheakt … Wegen einem Rechtsstreit! Ich dachte, das war wie in der Folterkammer? Kannst du mich anrufen? Dringend? Die Polizei hat noch –«
    Auf den Knall folgte Stille.
    Das Airbag presste Sara in den Sitz. Dann entwich die Luft pfeifend aus dem Ballon, bis sich nur noch eine schlaffe Plastikhaut aus dem Lenkrad stülpte und leblos nach unten hing. Bitte nicht. Nicht der Audi. Ronnies neuer Audi. Benommen saß Sara auf ihrem Sitz und starrte auf den zerbeulten Corsa, den sie mit voller Wucht gerammt hatte.

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    Der Souterrainraum roch modrig. Er riss die Verpackung des Raumerfrischers auf und steckte ihn in die Steckdose. Sofort strömte ihm ein süßlicher Duft nach Tannennadeln in die Nase. Sein Blick huschte durch den Raum, über die fünf Zentimeter dicken Schallschutzmatten mit ihren grauen Ausbuchtungen, die alle Wände bedeckten. Über die mit Alufolie verklebten Schallschutzfenster und den grauen Teppichboden, auf dem eine neue Matratze mit mehreren Decken und Kissen lag, über den Klapptisch, auf dem sich ordentlich zusammengeheftete Computerausdrucke stapelten, und über den tragbaren Fernseher mit integriertem DVD-Spieler, auf dem er immer wieder die gleichen Filme abspielte. Zuletzt blieb sein Blick an der durch Gipswände abgetrennten Toilette hängen, an deren Tür ein Poster mit einem Frauenkopf klebte. Über der Profilaufnahme stand in großen roten Druckbuchstaben Lydia Luder Schwartz .
    Er schloss die Augen. Er war ihr so nah, er konnte sie fast riechen. Er stellte sich ihren weichen Körper vor.
    »Heute«, flüsterte er. Dann stand er auf und verließ sein geheimes Reich neben dem KulturLaden.
    Im Hof drückte er sich in die Nische zwischen den zwei Mehrfamilienhäusern aus den fünfziger Jahren, die ihn vor den neugierigen Blicken der Bewohner schützte.
    Im KulturLaden waren alle Lichter an.
    Du hast Angst, nicht wahr? Du weißt, dass ich dich holen komme.
    Er lächelte in sich hinein und schaute auf seine Uhr. Zwei Minuten nach sechs. Noch eine Zigarettenlänge. Er zündete sich eine an.
    Um zehn nach sechs hast du mich verlassen. Um zehn nach sechs hol ich dich nach Hause zurück.

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    Der

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