Ich soll nicht töten
von großen Weißwandtafeln. Lana gab sich alle Mühe, das schiere Chaos zu verhindern, aber es war, als würde man mit einem teflonbeschichteten Tiger ringen. Der scharfe Geruch von verbranntem, schalem Kaffee hing über dem Raum, vermischt mit dem von Körperschweiß und Waffenöl. Pausenlos läuteten Telefone, ihr Läuten überlappte sich, sodass es zu einem einzigen Dauerschrillen wurde.
Niemand bemerkte Jazz. Außer Deputy Erickson, der– natürlich allein– in einer Ecke stand und in einer dicken Mappe blätterte. Er folgte Jazz mit dem Blick, seine Miene war nicht zu deuten. Nicht einmal für Jazz, der das sonst immer konnte.
G. Williams Büro war eine Oase der Normalität in dieser Wüste des Irrsinns. Die einzige Veränderung darin war eine neue Korktafel, die hinter dem Schreibtisch angebracht worden war. Daran steckten Fotos von den verschiedenen Tatorten des Impressionisten.
» Wie gefällt dir unser Zirkus hier?«, fragte der Sheriff kühl, als Jazz hereinkam und die Tür schloss.
» Es fehlen Clowns.«
» Clowns haben wir jede Menge. Willst du das Neueste hören?«
» Sicher.«
» Der toxikologische Bericht über Myerson ist da– das dauert immer, wie du weißt.« Lobo’s Nod war zu klein für ein eigenes richtiges Kriminallabor, deshalb mussten sie die meisten Tests woanders machen lassen. Was Zeit kostete. Es war nicht wie im Fernsehen, wo die Testergebnisse binnen Stunden zur Verfügung standen. » Sie haben Blut- und Leberwerte überprüft, nur für alle Fälle. Abflussreiniger ist bestätigt, was ja keine große Überraschung darstellt. Die Spurensicherung hat bei den Hellers ein paar Haare aufgesaugt, die weder von ihr noch von den Kindern oder dem Mann stammen. Könnte unser Mann sein, aber…«
» Die Haare sind jedoch bedeutungslos, wenn man sie mit nichts vergleichen kann.«
» Falls wir je einen Verdächtigen finden, werden wir ihm immerhin nachweisen können, dass er im Haus der Hellers war, aber damit hat es sich auch schon. Immerhin, es ist das erste Mal, dass er uns überhaupt etwas zurückgelassen hat. Das ist schon mal was. Zumindest rede ich mir das ein.«
Unausgesprochen blieb zwischen ihnen die Tatsache, dass sie aufgrund von Jazz’ Verhalten in Ginnys Wohnung noch weniger Spuren hatten. Er war in ihrem Blut herumgestiegen und hatte es durch die Wohnung verteilt, er hatte mögliche Fußabdrücke auf dem Teppich ruiniert, die Leiche und das Fenster berührt sowie weitere Oberflächen, die auch der Mörder berührt hatte…
G. William lächelte traurig und rieb sich die Augen. » Was führt dich zu mir? Was kann ich für dich tun, Jazz?«
Er hatte erwartet, dass G. William versuchen würde, ihm die Idee mit dem Besuch bei seinem Vater auszureden, aber der Sheriff nickte stattdessen nachdenklich, blickte zur Decke und machte Knallgeräusche mit den Lippen, während er überlegte. Dann griff er nach dem Telefon auf seinem Schreibtisch.
» Ich kann den Direktor anrufen und dich heute Nachmittag für einen Besuch bei Billy anmelden«, sagte er.
Jazz stutzte. » Erzählen Sie mir nicht seit vier Jahren, ich soll ihn vergessen, so tun, als sei er tot?«
G. William deutete mit dem Hörer auf Jazz. » Junge, wenn es hier nur um dich und dein Wohlergehen ginge, würde ich keine Hebel für dich in Bewegung setzen, okay? Dein größtes Problem dieser Tage sollte eigentlich sein, dass du dir überlegst, wo du aufs College gehen willst oder wie du die Versicherung für dein Auto zusammenkratzt. Aber diese Geschichte ist größer als du und ich oder das, was wir wollen. Wir haben es mit einem Verrückten zu tun, der Leute umbringt. Wenn er dem Muster deines Vaters exakt folgt, tötet er noch ein Opfer in Lobo’s Nod, dann verschwindet er für drei Monate und taucht irgendwo anders mit einer völlig neuen Methode und Signatur wieder auf. Wir werden ihn nie kriegen. Wir haben diese eine Chance. Wir wissen alles über sein nächstes Opfer, nur nicht, wer es ist. Ich habe Beschreibungen und Warnungen herausgegeben. Ich habe eine Task Force da draußen sitzen, die panische Anrufe von blonden Sekretärinnen im Umkreis von fünfzig Meilen entgegennimmt. Deshalb bin ich dafür, dass du mit deinem Vater redest, wenn auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass etwas dabei herauskommt, was uns hilft.«
Jazz sagte nichts. Was gab es da zu sagen?
G. William rief an. Jazz nahm in einem Sessel Platz und hörte zu, wie der Sheriff den Gefängnisdirektor einige Minuten lang beschwatzte.
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