Ich Töte
unterschreiben, und brauchten Ihre Bereitschaft, uns bei der Lösung dieses Falls zu helfen. Wenn Sie die Stadt nicht verlassen würden, wären wir Ihnen sehr dankbar.«
»Natürlich, Herr Kommissar. Alles, was Sie wollen, wenn es hilft, dass Gregors Mörder für das, was er getan hat, bezahlen muss.«
So wie er diese Worte aussprach, hatte Hulot keinen Zweifel daran, dass Boris Devchenko, wäre er zu Hause gewesen, sein Leben riskiert hätte, nur um das von Gregor Yatzimin zu retten. Und dass er es verloren hätte.
Hulot erhob sich und ließ Morelli mit Devchenko allein. Er ging zurück ins Wohnzimmer, wo die Spurensicherung gerade ihre Arbeit beendete. Zwei Polizisten kamen ihm entgegen.
»Kommissar …«
»Sagt schon, Jungs.«
»Wir haben die Nachbarn ein Stockwerk tiefer befragt. Keiner hat etwas gesehen oder gehört.«
»Aber es hat einen Schuss gegeben.«
»Genau unter uns wohnt ein altes Ehepaar. Sie nehmen nachts Schlafmittel. Sie haben mir gesagt, dass sie noch nicht mal das Feuerwerk bei den Weltmeisterschaften hören, ganz zu schweigen von einem Pistolenschuss. In der Wohnung gegenüber wohnt eine allein stehende Frau, auch sie ist ziemlich alt. Momentan ist sie nicht da, und in der Wohnung lebt ihr Enkel aus Paris, ein zwei- oder dreiundzwanzigjähriger Typ. Er war die ganze Nacht in Diskotheken unterwegs und kam gerade nach Hause, als wir an der Tür klingelten.
Natürlich hat er nichts gesehen oder gehört.«
»Die Wohnung hier nebenan?«
»Steht leer. Wir haben den Pförtner geweckt und uns die Schlüssel geben lassen. Wahrscheinlich kam der Mörder von dort und ist über den Balkon geklettert, der an den von dieser Wohnung hier grenzt. Allerdings gibt es keine Einbruchspuren. Wir sind noch nicht rein, um den Tatort nicht zu verändern. Die Spurensicherung kommt, sobald sie hier fertig ist.«
290
»Gut«, meinte Hulot.
Frank kam von seinem Kontrollgang zurück. Hulot wusste, dass er einen Augenblick hatte allein sein wollen, damit die Wut verrauchen konnte. Und um nachzudenken. Wahrscheinlich ahnte er bereits, dass sie im Haus keine Spur des Mörders finden würden. Er hatte sich bei seinem Gang vielmehr dem Unterbewusstsein überlassen, denn manchmal sendet ein Tatort etwas aus, das jenseits der einfachen und normalen Sinneswahrnehmung liegt.
Im selben Moment kam Morelli aus der Küche.
»Es scheint, dein Eindruck war richtig, Morelli.«
Sie sahen ihn schweigend an und warteten auf das Folgende.
»Keine Spur von Blut in der ganzen Wohnung, abgesehen von den paar Flecken auf dem Bettbezug. Nicht eine einzige Spur. Obwohl bei einem Job wie diesem, wie wir gegen unseren Willen schon feststellen durften, doch ziemlich viel Blut produziert wird.«
Frank war wieder der Alte. Nach außen hin hatte die Niederlage jener Nacht keinerlei Nachwirkungen, auch wenn Nicolas nur allzu gut wusste, dass dem nicht so war. Niemand konnte so schnell vergessen, dass man die Möglichkeit versäumt hat, ein Menschenleben zu retten.
»Unser Kerl hat die Wohnung perfekt geputzt, nachdem er fertig war mit dem, was er nicht lassen kann. Ich bin sicher, es werden Blutspuren auftauchen, wenn wir die Wohnung mit Luminol behandeln.«
»Warum, was denkst du? Warum wollte er keine Blutspuren hinterlassen?«
»Ich habe keinen blassen Schimmer. Vielleicht liegen die Dinge so, wie Morelli meinte.«
»Ich frage mich, wie so ein Tier überhaupt imstande war, für Gregor Yatzimin so etwas wie Mitleid zu empfinden. Wenn das der Grund sein sollte.«
»Das ändert gar nichts, Nicolas. Es ist möglich, aber es ist bedeutungslos. Man sagt, auch Hitler habe seinen Hund sehr zärtlich geliebt, und dennoch …«
Schweigend begaben sie sich zum Eingang. Durch die offene Tür sahen sie auf den geräumigen Treppenabsatz, wo die Assistenten des Gerichtsmediziners Yatzimins Körper in einem dunkelgrünen Wachstuchsack verschlossen hatten und gerade in den Aufzug stiegen, um die Leiche nicht zu Fuß sechs Stockwerke runtertragen zu müssen.
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Draußen dämmerte es. Ein neuer Tag würde anbrechen, ein Blutsbruder all der bisher erlebten Tage, seit die Geschichte begonnen hatte. Vor Gregor Yatzimins Haus würden sie eine Menge Journalisten vorfinden. Dort würden sie durch einen Kanonendonner von Fragen schreiten und ihre Abwehr aus »No comment« errichten. Die Presse würde noch mehr toben. Die Vorgesetzten von Hulot würden regelrecht explodieren. Roncaille würde ein bisschen von seiner Gesichtsbräune einbüßen, und das
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