Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Faletti
Vom Netzwerk:
einen Augenblick vor dem Grabstein stehen. Betrachtete das Foto. Ein dunkelhaariger Junge, ziemlich aufgeweckt, lächelte von einer Schwarz-Weiß-Keramik, deren Bildvorlage mit Sicherheit extra retuschiert worden war. Er beugte sich vor, um den Namen des Verstorbenen zu lesen.
    Seine Augen berührten die Inschrift, und Nicolas Hulot stockte der Atem. Er meinte, das Grollen eines Donners zu hören, während sich die Inschrift immer weiter zu vergrößern schien, bis sie die gesamte Fläche des Grabsteines einnahm.
    387

    In einem einzigen, kurzen, sehr langen Augenblick begriff er alles.
    Und er wusste, wer Keiner war.
    Auf dem Beton hörte er, beinahe ohne es zu registrieren, den Widerhall von nahenden Schritten. Er dachte, es sei die dunkel gekleidete Frau, die zum Grab ihres Sohnes zurückkam.
    Von seinen Gedanken vereinnahmt, überwältigt von der Aufregung über die Entdeckung, das Herz in seinen Ohren wie der ungedämpfte Paukenschlag eines Orchesters dröhnend, achtete er nicht auf das deutlich leisere Geräusch der Schritte, die sich ihm von hinten näherten.
    Er bemerkte sie so lange nicht, bis er die Stimme hörte.
    »Gratuliere, Kommissar, ich hätte nicht gedacht, dass Sie hierher finden würden.«
    Kommissar Nicolas Hulot drehte sich langsam um. Als er die Pistole auf sich gerichtet sah, dachte er, dass es für heute mit dem Glück erst mal vorbei sei.
    388

44
    Frank wachte auf, als es draußen noch dunkel war. Er öffnete die Augen, und zum wiederholten Mal war er in einem Bett, das nicht das seine war, in einem Zimmer, das nicht das seine war, in einem Haus, das nicht das seine war. Diesmal war dennoch alles ganz anders. Die Rückkehr in die Realität führte nicht einfach in einen neuen Tag, den man mit den gleichen Gedanken teilen musste wie den vergangenen. Er drehte den Kopf nach links und sah im bläulichen Licht der Nachttischlampe Helenas schlafenden Körper neben sich ausgestreckt. Das Laken bedeckte nur teilweise den Rücken, und Frank bewunderte die Formung der Muskeln unter ihrer Haut, die wohlgestalteten Schultern, die in der schmalen Linie ihrer Arme mündeten. Er drehte sich auf die Seite und näherte sich ihr wie ein Streuner, der vorsichtig dem dargebotenen Futter eines Fremden näher rückt, und so erreichte ihn zunächst nur der natürliche Duft ihrer Haut.
    Es war die zweite Nacht, die sie gemeinsam verbrachten.
    Am Abend zuvor waren sie zur Villa zurückgefahren und beinahe ängstlich aus Franks Wagen gestiegen, als ob sich durch das Verlassen des begrenzten Innenraums etwas ändern könne, als ob sich das, was darin entstanden war, durch den Kontakt mit der Luft auflösen könne.
    Sie hatten geräuschlos das Haus betreten, beinah verstohlen. Es schien, als hätten sie kein Recht auf das, was sie tun würden, sondern eigneten es sich mit Gewalt und Betrug an.
    Frank verfluchte dieses kranke Gefühl und den und das, denen er es zu verdanken hatte.
    Es gab nicht das Essen, und es gab nicht den Wein, den Helena versprochen hatte.
    Es gab sofort und ausschließlich nur sie beide, und ihre Kleidung war ganz plötzlich viel zu weit geworden und zu Boden gefallen mit der Natürlichkeit eingehaltener Versprechungen. Es gab einen anderen Hunger und einen anderen Durst, dem zu lange schon die Erfüllung verweigert worden war, es gab eine Leere zu füllen, und erst jetzt, da sie gefüllt werden sollte, verstanden sie, wie groß sie war.
    Frank legte seinen Kopf wieder aufs Kissen und schloss die Augen. Die Bilder liefen frei hinter seinen geschlossenen Augenlidern ab.
    Die Tür.
    389

    Die Treppe.
    Das Bett.
    Die Haut von Helena, einzigartig im Kontakt mit der seinen, die endlich eine vertraute Sprache sprach.
    Die Augen, so schön, von einem Schatten verschleiert.
    Der Blick, plötzlich so angstvoll, als Frank sie in seine Arme schloss.
    Ihre Stimme, ein Hauch auf ihren Lippen, um die seinen zu berühren.
    Ich bitte dich, tu mir nicht weh, hatte sie ihn angefleht.
    Frank hatte ergriffen gespürt, dass seine Augen feucht wurden. Er hatte vergeblich die Worte um Hilfe gebeten. Helena hatte dieselbe Hilfe gesucht und sie auch nicht gefunden. Die einzigen Bekenntnisse zwischen ihnen waren die Gewalt und die Zartheit, mit denen sie einander gesucht und in denen sie erkannt hatten, dass sie einander brauchten. Er hatte mit aller ihm möglichen Zärtlichkeit von ihrem Körper Besitz ergriffen und sich gewünscht, ein Gott zu sein, der die Zeit zurückzudrehen und den Lauf der Dinge zu ändern

Weitere Kostenlose Bücher