Ich Töte
erwarten sei.
Frank hätte nie gedacht, dass in einem Lächeln so viel Verbitterung liegen könne.
Helena beschrieb sich selbst, als spreche sie von einer anderen Person, von einer Frau, für die sie Mitleid und Verachtung gleichermaßen empfand.
»Ich bin die Witwe eines Mannes, den ich das erste Mal am Hochzeitstag und dann nie wieder gesehen habe, außer in einem Sarg mit einer Flagge darauf. Frag mich nicht, wie mein Vater es angestellt hat, diesen Mann zu überreden, mich zu heiraten. Ich weiß nicht, was er ihm als Gegenleistung versprochen hatte, aber man kann es sich leicht ausmalen. Quasi eine Scheinehe, dann ausreichend Zeit, um alles in einen glaubwürdigen Schleier zu hüllen, und schließlich die klärende Scheidung. Dazwischen eine Karriere im Handumdrehen, der rote Teppich ausgerollt … Und weißt du, was das Witzige ist?«
Frank wartete schweigend. Er wusste genau, dass es nichts Witziges geben würde.
»Captain Randall Keegan starb im Golfkrieg, ohne auch nur einen einzigen Schuss abgefeuert zu haben. Er starb den Heldentod beim Ausladen der Fracht, von einem Hummer-Jeep überrollt, dessen Bremsen versagten, während er die Rampe eines Transportfliegers runterfuhr. Eine der kürzesten Ehen in der Geschichte. Und dann auch noch mit einem Trottel …«
Frank hatte keine Zeit zu antworten. Er war noch damit beschäftigt, diese erneute Demonstration von Nathan Parkers Bösartigkeit und Macht zu verdauen, als das Handy auf dem Nachttisch vibrierte.
Noch bevor der Klingelton ertönte, griff er zu. Er sah auf die Uhr.
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Die Zeit verhieß nichts Gutes. Er klappte das Handy auf.
»Hallo?«
»Frank, ich bin’s, Morelli.«
Helena, die neben ihm lag, sah, wie sich sein Gesicht anspannte.
»Sag schon, Claude. Gibt’s Ärger?«
»Ja, Frank. Aber nicht, was du denkst. Kommissar Hulot hatte einen Verkehrsunfall.«
»Wann?«
»Das wissen wir im Moment nicht genau. Die französische Verkehrspolizei hat es uns eben mitgeteilt. Sein Wagen wurde auf einer Nebenstraße bei Auriol in der Provence am Ende eines Abhangs gefunden, von einem Jäger, der rausgegangen war, um Hunde abzurichten.«
»Und wie geht es ihm?«
Das kurze Schweigen Morellis sagte genug. Frank spürte, wie aller Mut sein Herz verließ.
Nein, Nicolas, nicht du und nicht jetzt. Nicht auf diese beschissene Art und nicht gerade jetzt, wo dein Leben ein einziger Müllhaufen war. Nicht so, enfant terrible …
»Er ist tot, Frank.«
Frank presste seine Kieferknochen so stark zusammen, dass das Knirschen der. Zähne zu hören war. Seine Knöchel wurden weiß, und einen Moment lang dachte Helena, das Handy würde in seiner Hand zersplittern.
»Weiß es seine Frau?«
»Nein, ich habe ihr noch nichts gesagt. Ich dachte, vielleicht willst du es ihr lieber sagen.«
»Danke, Claude. Das war gut so.«
»Es wäre mir lieber gewesen, ich hätte solche Komplimente nicht bekommen.«
»Ich weiß, und ich danke dir auch im Namen Celine Hulots.«
Helena sah, wie er zum Sessel ging, auf dem seine Sachen verstreut waren. Er begann, seine Hose anzuziehen.
Sie richtete sich im Bett auf und bedeckte ihre Brüste mit dem Laken. Frank nahm keine Notiz von dieser instinktiven Geste der Scham wegen einer Nacktheit, die Helena längst noch nicht als natürlich empfand.
»Was ist los, Frank? Wohin gehst du?«
Frank blickte sie an, und Helena konnte einen erbitterten Schmerz in seinem Gesicht lesen. Sie sah, wie er sich aufs Bett setz395
te, um die Socken anzuziehen. Seine Stimme kam hinter der Barriere seines narbenbedeckten Rückens hervor.
»An den schrecklichsten Ort der Welt, Helena. Ich gehe jetzt und wecke mitten in der Nacht eine Frau, um ihr zu erklären, warum ihr Mann nie wieder nach Hause kommen wird.«
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Auf der Beerdigung von Nicolas Hulot regnete es.
Anscheinend hatte das Wetter beschlossen, den strahlenden Sommer zu unterbrechen und vom Himmel dieselben Tränen zu vergießen, die auf Erden für Nicolas vergossen wurden. Ein direkter und kompromissloser Regen, ebenso direkt und kompromisslos wie das Leben eines unbekannten Kriminalkommissars, das bei seiner bescheidenen Mission als Mann von der Straße draufgegangen war.
Vielleicht ohne es zu wissen, erntete er jetzt den einzigen Lohn, den er sich zu Lebzeiten immer gewünscht hatte: unter dieselbe Erde zu kommen, die auch den Körper seines Sohnes bedeckte, begleitet von Worten, welche die Hoffnung als Trost für die Lebenden bereithält.
Celine stand an der Grube, neben
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