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Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Faletti
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niemandem von unserem Gespräch erzählen würden.«
    Der Wärter signalisierte mit einer Geste, dass das doch selbstverständlich sei.
    »Machen Sie sich keine Sorgen.«
    Während sie sprachen, stieg eine dunkel gekleidete Frau mit Kopftuch und einem Blumenstrauß im Arm die Stufen hoch. In einem seltsamen Trippelschritt ging sie zu einem Steingrab in dersel385

    ben Reihe wie die Gräber der Legrands. Sie kniete nieder und streichelte liebevoll den Grabstein aus Marmor. Mit unterwürfiger Stimme wandte sie sich ans Grab.
    »Entschuldige, wenn ich heute so spät komme, aber ich hatte Probleme mit dem Haus. Ich geh kurz Wasser holen und erklär’s dir dann.«
    Sie legte den Strauß auf den Stein, nahm die alten Blumen aus ihrem Behälter und zog das Gefäß aus der Graberde. Dann entfernte sie sich, um es aufzufüllen. Der Wärter folgte Nicolas’ Blick und kam seiner Frage zuvor. In seinem Gesicht war Mitleid.
    »Arme Frau, nicht? Das war eine wirklich unglückselige Zeit für Cassis. Kurz bevor das in La Patience passiert ist, geschah bei ihr das Unglück. Eine banale Sache, wenn man den Tod einer Person so bezeichnen darf. Ein Tauchunfall. Der Sohn tauchte nach Seeigeln, die er an den Ständen unten am Hafen an Touristen verkaufte. Eines Tages kam er nicht nach Hause zurück. Sie haben sein Boot draußen in einer der calanques vor Anker gefunden, verlassen, mit seinen Kleidern darin. Als das Meer seinen Körper wieder ausspuckte, ergab die Autopsie Tod durch Ertrinken, verursacht wahrscheinlich durch einen Anfall von Übelkeit während des Tauchens. Nach dem Tod des Jungen …«
    Der Wärter hielt inne und tippte vielsagend mit dem rechten Zeigefinger an seine Schläfe.
    »… ist mit ihm auch der Verstand von ihr gegangen.«
    Hulot sah der Frau weiter nach, die jetzt die Blumen vom Grab in den Mülleimer warf.
    Er dachte an Celine, seine Frau. Ihr war dasselbe passiert, nach Stephanes Tod. Die Beschreibung des Wärters war perfekt.
    Mit ihm ist auch der Verstand von ihr gegangen …
    Mit beklommenem Herzen fragte er sich, ob sich auch auf Celine schon mal jemand bezogen hatte, indem er schweigend mit dem Zeigefinger an die Schläfe tippte. Die Stimme des Wärters brachte ihn wieder zurück auf den Friedhof einer Kleinstadt namens Cassis, vor die Gräber einer ausgelöschten Familie.
    »Wenn Sie mich nicht mehr brauchen …«
    »Oh, Sie haben Recht, entschuldigen Sie, Monsieur …?«
    »Norbert, Luc Norbert.«
    »Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre Zeit verschwendet habe. Ich nehme an, Sie müssen schließen.«
    »Nein, im Sommer bleibt der Friedhof immer lange geöffnet.
    386

    Wenn es dunkel wird, komme ich nochmal und sperre das Tor ab.«
    »Dann würde ich gerne noch ein paar Minuten bleiben, wenn es Sie nicht stört.«
    »Lassen Sie sich ruhig Zeit. Falls Sie mich noch brauchen, finden Sie mich hier, oder Sie fragen jemanden aus dem Ort. Hier kennen mich alle, und jeder wird Ihnen mein Haus zeigen können. Einen schönen Abend, Monsieur …?«
    Hulot verstand und lächelte. Er fand, Monsieur Norbert hatte sich eine kleine Entschädigung verdient.
    »Hulot. Kommissar Nicolas Hulot.«
    Der Mann nahm die Bestätigung seiner Intuition hin, ohne sich in irgendeiner Weise etwas anmerken zu lassen. Er nickte nur leicht mit dem Kopf, als habe es gar nicht anders sein können.
    »Klar, Kommissar Hulot. Na dann, guten Abend, Kommissar.«
    »Das wünsche ich Ihnen auch und nochmals vielen Dank.«
    Der Wärter drehte sich um und ging. Nicolas folgte ihm mit dem Blick, während er sich entfernte. Die dunkel gekleidete Frau füllte gerade aus einem Hahn neben der Kapelle Wasser in ein Gefäß. Eine Taube kauerte auf dem Dach des niedrigen Gebäudes. Hoch oben über dem Meer segelte eine Möwe. Bettler des Meeres und Bettler der Erde, welche die Nahrung gerecht unter sich aufteilten, die der Müll der Menschen, jener bemitleidenswerten Wesen, die nicht fliegen konnten, hergab.
    Er sah wieder auf die Gräber. Starrte sie an, als könnten sie sprechen, während sich in seinem Kopf eine Gedankenlawine ergoss.
    Was war in diesem Haus vorgefallen? Wer hatte den entstellten Körper von Daniel Legrand entwendet? Was hatten ein Drama, das sich zehn Jahre zuvor ereignet hatte, und ein eiskalter Killer, der seine Opfer auf dieselbe Weise entstellte, gemeinsam?
    Er ging Richtung Ausgang. Als er den betonierten Weg entlanglief, kam er am Grab des Jungen vorbei, der ungefähr zur selben Zeit bei einem Tauchunfall gestorben war. Er blieb

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