Ich Töte
gelangen. Während er allmählich zur leuchtenden Oberfläche aufsteigt, verwandelt sich der dunkle Fleck hinter dem Glas der Taucherbrille in das Gesicht der jungen Frau und nimmt langsam Form an. Zarte Linien treten hervor, die feine Nase, der halb offene Mund, aus dem noch einige letzte, spöttische Luftbläschen entweichen. Es kommen die leuchtenden grünen Augen zum Vorschein, leblos, fixiert vom gnadenlosen Blitz des Todes, und sie nähern sich dem Licht, das sie nicht mehr erblicken können und 41
das ihnen nicht mehr gehört.
Der Mann sieht das Gesicht der Frau, die er ermordet hat, allmählich erscheinen, so wie ein Fotograf die Entwicklung einer Fotografie beobachtet, die ihm besonders am Herzen liegt. Als er sich der Schönheit des Gesichts ganz sicher ist, lächelt von neuem der Hai.
Der Kopf des Mannes taucht schließlich aus dem Wasser. Den Leichnam im Schlepptau, schwimmt er auf die Leiter zu. Er greift nach der Leine, die er zuvor am Metallrohr befestigt hatte, und wickelt sie um den Hals der Frau, um sie zu sichern, während er sich der Sauerstoffflasche und des Atemgeräts entledigt. Der Körper gleitet unter Wasser und verursacht einen leichten Wirbel. Die Haare des Mädchens bewegen sich wenige Zentimeter unter der Wasseroberfläche im Rhythmus der leise an den Rumpf schlagenden Wellen, treiben im Mondlicht wie die Tentakel einer Qualle.
Er zieht sich die Schwimmflossen aus, die Tauchermaske und den Bleigürtel und legt sie vorsichtig, ohne das geringste Geräusch zu produzieren, aufs Deck. Als er fertig ist, greift er mit der linken Hand nach einer Leitersprosse, löst die Leine, die den Leichnam hält, und umfasst ihn mit seinem rechten Arm. Ohne sichtbare Anstrengung steigt er mit dem Körper seines Opfers im Arm die wenigen Holzstufen empor. Sanft legt er ihn auf die Brücke, quer zur Längsachse der Yacht. Er betrachtet ihn gründlich, dann bückt er sich, um den Bademantel aufzuheben, den das Mädchen vor seinem nächtlichen Bad getragen hatte.
Wie in nachträglichem Bedauern bedeckt er mit ihm die Frau auf dem Teakholz der Brücke, als wolle er den kalten Körper vor der Kühle einer Nacht schützen, die für sie kein Ende mehr nehmen würde.
»Arijane?«
Die Stimme dringt plötzlich vom Unterdeck herauf. Instinktiv dreht der Mann den Kopf in diese Richtung. Vielleicht ist der Gefährte der Frau aufgewacht, weil er das Gefühl hatte, allein in der Kabine zu sein. Vielleicht hat er ein Bein ausgestreckt, um die Berührung ihrer Haut zu suchen, und hat sie nicht gefunden in jenem weißen Licht, das der Mond im Schlafzimmer verbreitet.
Da er keine Antwort bekommt, wird er gleich hinausgehen, um nach ihr zu suchen.
In seinem dunklen Taucheranzug, der ihn zu einem dunkleren Schatten unter den Schatten des Mondes macht, erhebt er sich und versteckt sich im Schutz der Verbindung von Mast und Besanbaum.
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Von seinem Beobachtungsposten sieht er zunächst den Kopf und dann den Körper des Mannes, der hinaufkommt, um seine Frau zu suchen. Er ist vollkommen nackt. Sein Kopf dreht sich suchend umher und hält inne, kaum dass er ganz an Deck ist und sie erblickt.
Sie liegt ausgestreckt am Heck, hinter der Ruderpinne, bei der Leiter.
Ihr Gesicht ist zur anderen Seite gewandt, und sie scheint zu schlafen, nur nachlässig mit ihrem weißen Bademantel zugedeckt. Er geht einen Schritt auf sie zu. Er fühlt die Nässe unter den Füßen, senkt den Blick und bemerkt die feuchten Spuren auf dem Holzboden.
Vielleicht denkt er, dass sie baden war, und Zärtlichkeit überkommt ihn beim Anblick dieses Körpers, der sich im Mondlicht dem Schlaf überlassen hat. Vielleicht sieht er vor seinem geistigen Auge ihre fließenden Bewegungen im stillen Wasser, stellt sich vor, dass ihr nasser Körper wie Stanniolpapier schimmert, als sie aus dem Meer steigt und sich gründlich abtrocknet. Leise tritt er an sie heran, vielleicht möchte er sie mit einem Kuss wecken, sie in die Kabine ziehen und mit ihr schlafen. Er hockt sich neben ihr nieder und legt eine Hand auf ihre Schulter, die aus dem Bademantel herausschaut. Der Mann im Taucheranzug kann seine Worte deutlich hören.
»Liebes …«
Die Frau regt sich nicht, sie scheint nichts gehört zu haben. Ihre Haut ist eiskalt.
»Liebes, du kannst nicht hier im Kalten bleiben …«
Immer noch keine Reaktion. Jochen spürt, wie eine seltsame Furcht ein kleines Loch in seinen Magen bohrt. Vorsichtig nimmt er ihren Kopf in seine Hände, dreht Arijanes Gesicht zu
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