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Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Faletti
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wie einen leeren Sack vor die Füße.
    »Hier, Bryan, nimm deinen lüsternen Sohn und verschwinde auf der Stelle aus meinem Haus. Sei froh, dass ich ihn laufen lasse und nicht wegen versuchter Vergewaltigung anzeige!«
    Nathan Parkers unbändige Wut ließ keine Widerrede zu, und Jeffereau kannte ihn gut genug, um den Mund zu halten. Schweigend hatte er seinen Sohn, seine Leute und seine Gerätschaften zusammengesammelt und war gegangen.
    Helena war Andres Jeffereau nie wieder begegnet.
    Kurz darauf hatten Nathan Parkers Aufmerksamkeiten begonnen.
    Helena durchquerte ihr Schlafzimmer mit dem kleinen Balkon.
    Ein Bündel Sonnenstrahlen fiel aufs Bett und schnitt es in zwei Teile. Sie nahm es als gutes Zeichen, dass die sonnige Seite diejenige war, auf der Frank geschlafen hatte, der einzige Mensch, dem sie ihre Schande jemals anvertraut hatte.
    Sie verließ das Zimmer und ging hinunter ins Erdgeschoss.
    Der Gedanke an die wenigen glücklichen Momente mit Frank reichte nicht aus, ihre Erinnerungen verblassen zu lassen, die so weit zurückreichten und doch stark genug waren, um sie zu verletzen, als sei alles erst gestern geschehen.
    Nicht viele Frauen können von sich sagen, dass sie ihre Unschuld durch den eigenen Vater verloren haben, sagte sie sich. Ich hoffe für sie, dass es nicht viele sind, ich hoffe aus Erbarmen für das Universum, dass ich die einzige bin, auch wenn ich sicher weiß, dass es nicht so ist …
    Die Welt war voller Nathan Parkers, davon war sie überzeugt.
    Und sie war auch überzeugt davon, dass die Welt voll war von Frauen wie ihr. Arme Mädchen, die in Tränen der Demütigung und des Ekels aufgelöst in ihrem Bett gelegen hatten, auf einem Laken, das befleckt war von Blut und von demselben Samen, der sie gezeugt hatte.
    Ihr Hass hatte keine Grenzen. Gegen ihren Vater und gegen sich selbst, weil sie sich im fraglichen Moment nicht hatte wehren können. Jetzt war sie durch Stuart gerechtfertigt, den Sohn, den sie im selben Maße liebte, wie sie den Vater hasste. Den Sohn, den nicht zu 475

    haben sie seinerzeit alles Geld der Welt gezahlt hätte und den sie nun um keinen Preis wieder hergeben würde. Jetzt war er da, aber was war er? Sosehr sie sich bemühte, konnte sie keine Ausrede finden für ihre Schwäche gegenüber dem Vater.
    Manchmal war ihr die Frage gekommen, ob sich dieselbe kranke Liebe, die Nathan Parker antrieb, auch in ihrem Hirn festgesetzt hatte wie ein Krebs. Vielleicht hatte sie diese Tortur immer wieder auf sich genommen, weil sie seine Tochter war und in ihren Adern dasselbe Blut und dieselbe Perversion ihres Vaters flossen? Diese Frage war ihr oft gekommen.
    Paradoxerweise hatte nur ein einziger Gedanke sie davor bewahrt, verrückt zu werden. Das Bewusstsein nämlich, dass sie das, was sie notgedrungen ertrug, nie, auch nicht ein einziges Mal, genossen hatte.
    Hanneke musste etwas geahnt haben, auch wenn Helena das nie mit Sicherheit wissen würde. Wahrscheinlich wurde das, was in der Folge passierte, einfach durch ein Feuer ausgelöst, das unter ihrer kalten und förmlichen Fassade geschwelt hatte, ohne dass irgendjemand, sie selbst eingeschlossen, davon geahnt hatte.
    Auf banale und prosaische Weise war sie mit einem Reitlehrer durchgebrannt, der damals in ihrem Hause verkehrte, und hatte ohne einen Anflug von Gewissensbissen ihren Mann und seine beiden Töchter ihrem Schicksal überlassen. Nichts war von ihr geblieben als ein Brief, von dem Helena erst Jahre später erfuhr. Mitgenommen dagegen hatte sie, als Sahnehäubchen, einen größeren Geldbetrag.
    General Parker war in der ganzen Angelegenheit vor allem eines wichtig: die Diskretion, mit der es geschehen war. Hanneke mochte eine Hure sein, wie edel auch immer, aber sie war nicht dumm.
    Wenn sie ihren Ehemann öffentlich gedemütigt hätte, wären die Folgen katastrophal gewesen. Er hätte sie bis ans Ende der Welt und aller Zeiten verfolgt, bis er seine Rache bekommen hätte.
    Helena hatte diesen Brief nie gelesen. Doch wenn die Frau etwas von dem Verhältnis zwischen ihrem Mann und Helena gewusst oder geahnt hatte, musste sie ihm einen Tauschhandel vorgeschlagen haben. Ihre Freiheit und ihr Schweigen gegen seine Freiheit und sein Schweigen. Der Pakt war wortlos angenommen worden. Im Laufe der Zeit handelten die Rechtsanwälte der beiden Parteien eine einvernehmliche Scheidung aus, und so wurden die Dinge endgültig zu den Akten gelegt.
    Keiner, wie man sagt, war schlecht dabei weggekommen.
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    Sicher nicht

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