Ich Töte
einzuschlie
ßen. Ein Handy besaß Helena nicht. Dann hatte sich Nathan Parker kurz an sie gewandt in dem Ton, den er ihr und dem Rest der Welt gegenüber anschlug, wenn er keinen Einspruch duldete.
»Wir gehen jetzt. Du bleibst hier. Muss ich dazu noch etwas sagen?«
Ihr Schweigen hatte er als Zustimmung gewertet.
»Gut. Dann möchte ich dich daran erinnern, falls das nötig sein sollte, dass das Leben dieses Mannes, dieses Frank, von dir abhängt.
Ist dir dein Sohn schon nicht wichtig genug, um Vernunft anzunehmen, so kann dieser Gedanke dich vielleicht von irgendwelchen überstürzten Initiativen abhalten.«
Während ihr Vater durch die offene Tür zum Vorhof hinaus mit ihr sprach, hatte Helena Stuart und Mosse am Tor auf ihn warten sehen.
»Bald reisen wir ab. Ich habe nur noch ein paar Formalitäten zu erledigen, um den Leichnam deiner Schwester, die dir offenbar nicht sehr am Herzen liegt, nach Amerika überführen zu können. Du wirst sehen, sobald wir zu Hause sind, werden sich auch deine Perspektiven wieder ändern, einschließlich der lächerlichen Schwärmerei für diesen Nichtsnutz …«
Als Nathan Parker aus Paris zurückgekommen war und sie den Mut aufgebracht hatte, ihm ihr Verhältnis mit Frank Ottobre ins 469
Gesicht zu sagen, war er fast übergeschnappt. Es war sicher keine Eifersucht gewesen, jedenfalls nicht die übliche und in gewisser Weise auch verständliche Eifersucht eines Vaters, wenn es um seine Tochter ging. Und auch nicht die niederen Gelüste eines Mannes gegenüber seiner Geliebten, denn wie sie Frank erzählt hatte, zwang er sie schon seit Jahren nicht mehr, mit ihr zu schlafen.
Jene Zeiten waren Gott sei Dank für immer vorbei. Sie brauchte nur an die Hände dieses Mannes auf ihrem Körper zu denken, um ein heftiges Ekelgefühl zu verspüren, das noch jetzt, nach Jahren, den dringenden Wunsch in ihr weckte, sich zu waschen. Seine Aufmerksamkeiten hatten gleich nach der Geburt ihres Sohnes aufgehört.
Eigentlich sogar schon eher, als sie ihm unter Tränen gebeichtet hatte, dass sie schwanger war.
Sie erinnerte sich noch an die Augen ihres Vaters, als sie ihm gesagt hatte, dass sie abtreiben wolle.
»Was willst du tun?«, hatte Nathan Parker sie ungläubig gefragt, als sei ihre Absicht und nicht ihre Schwangerschaft das Abscheuliche.
»Ich will dieses Kind nicht. Du kannst mich nicht zwingen, es zu behalten.«
»Du hast mir wohl kaum zu sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Wer hier bestimmt, bin ich. Und ich will, dass du gar nichts tust. Verstanden? Ü-b-e-r-h-a-u-p-t nichts.«
Und dann hatte er sein Urteil verkündet.
»Du wirst dieses Kind bekommen.«
Helena hätte sich den Bauch aufreißen und mit ihren eigenen blutigen Händen herausziehen mögen, was sich darin verbarg. Vielleicht hatte ihr Vater, der verfluchte Vater ihres Kindes, diese Gedanken in ihrem Kopf erahnt. Vielleicht hatte er sie in ihrem Gesicht gelesen.
In jedem Fall hatte man sie von diesem Moment an keine Sekunde mehr aus den Augen gelassen.
Um ihre Schwangerschaft und Stuarts Geburt vor der Welt zu rechtfertigen, hatte sich ihr Vater diese absurde Geschichte mit der Heirat ausgedacht. Nathan Parker war ein mächtiger Mann, ein sehr mächtiger Mann. Ihm war praktisch alles erlaubt, solange es nicht die nationale Sicherheit berührte.
Oft hatte sie sich gefragt, wie es sein konnte, dass keiner der Menschen in seiner Umgebung die wahren Ausmaße seiner Abartigkeit begriffen hatte. Es waren doch gebildete Männer, Abgeordnete, Senatoren, hohe Militärs, sogar Präsidenten der Vereinigten Staaten.
470
War es möglich, dass keinem von ihnen, während er den Worten des Kriegshelden und Generals Nathan Parker lauschte, je der Verdacht kam, dass diese Worte dem Mund und dem Hirn eines Besessenen entsprangen? Vielleicht war die Erklärung ganz einfach und lag in einem simplen do ut des.
Wenn die wenig erbauliche Kehrseite der Persönlichkeit des Generals auch im Pentagon und im Weißen Haus bekannt waren, dann hatte man das offensichtlich, solange es sich in den eigenen vier Wänden abspielte, als Gegenleistung für Verdienste ums Vaterland tolerieren können.
Nach Stuarts Geburt, eines Sohnes endlich, hatte ihr Vater einen Besitzanspruch entwickelt, der weit über seine krankhaft gesteigerten Gewohnheiten und seine widernatürliche Art zu lieben hinausging.
Er betrachtete Mutter und Sohn nicht mehr als eigenständige menschliche Wesen, sondern als eine Art Privatbesitz. Er hielt sie für
Weitere Kostenlose Bücher