Ich Töte
General stimmte vollkommen mit ihm überein und hatte Andres mehrmals einen »gu-ten Jungen« genannt.
Andres war ein schüchterner Typ und beobachtete Helena unauffällig unter dem Schirm seiner Baseballkappe, die er zum Schutz gegen die Sonne trug, wenn er die Äste der beschnittenen Bäume und Sträucher zum Abtransport auf die Ladefläche des Pickup lud.
Helena bemerkte seine linkischen Annäherungsversuche, die sich vor allem in verschämten Blicken und unsicherem Lächeln äußerten.
Sie ließ es zu, ohne es zu erwidern, und doch erglühte sie innerlich.
Andres war nicht gerade, was man einen hübschen Jungen nennt. Er war einer, wie es viele gibt, weder schön noch hässlich, und wurde immer gleich unbeholfen und fahrig, wenn sie in seine Nähe kam.
Für Helena bestand sein Reiz in einer einfachen Tatsache: Er war der einzige Junge in ihrer Umgebung. Und so verliebte sie sich zum ersten Mal. Andres lächelte ihr errötend zu, und sie lächelte errötend zurück. Das war alles. Eines Tages fand Andres den Mut, im Laub einer Magnolie ein Briefchen für sie zu verstecken, indem er es mit grünem Isolierdraht an einem Ast befestigte. Sie holte es sich und steckte es in die Tasche ihrer Reithose. Später, als sie im Bett lag, zog sie es hervor und las, während ihr Herz zum Zerspringen klopfte.
Jetzt, nach so vielen Jahren, erinnerte sie sich nicht mehr genau an die Worte, mit denen Andres ihr seine Liebe erklärt hatte, aber sie erinnerte sich noch an die Welle von Zärtlichkeit, die seine unsichere Schrift in ihr ausgelöst hatte. Es waren die unschuldigen Worte eines Siebzehnjährigen gewesen, der sich in die vermeintliche Prinzessin der Villa verliebt hatte und sich dementsprechend verhielt.
Hanneke, ihre Stiefmutter, für die ihre eigenen Anweisungen nicht galten, war plötzlich ins Zimmer getreten, ohne anzuklopfen.
Sie hatte das Briefchen unter der Bettdecke versteckt, ein wenig zu rasch, um nicht Verdacht zu erregen.
Die Stiefmutter war ans Bett getreten und hatte ihre Hand ausgestreckt.
»Gib her, was du da drunter hast.«
473
»Aber ich …«
Die Frau hatte sie nur eindringlich angeschaut. Helenas Wangen waren feuerrot geworden.
»Helena Parker, ich glaube, ich habe dir soeben etwas befohlen.«
Sie hatte den Brief hervorgezogen und ihn abgegeben. Hanneke hatte ihn gelesen, ohne irgendeine Gefühlsregung zu zeigen, dann hatte sie ihn zusammengefaltet und in die Jackentasche ihres Twinsets geschoben.
»Gut, ich denke, das sollte ein kleines Geheimnis zwischen uns bleiben, damit wir deinem Vater keinen Kummer bereiten …«
Bei diesem Kommentar war es geblieben. Helena war zu erleichtert gewesen, um zu ahnen, dass die Frau sie belog, einfach weil es ihr in diesem Moment so gefiel.
Am Tag darauf hatte sie Andres getroffen.
Sie begegneten sich im Pferdestall, in den Helena täglich ging, um sich um Mister Martin, ihr Pferd, zu kümmern. Als sie den Stall betrat, war der Junge zufällig gerade dort, oder vielleicht hatte er es auch absichtlich so eingerichtet, denn er wusste ja, dass sie früher oder später kommen würde. Rot wie eine Tomate ging er auf sie zu.
Helena hatte nie zuvor bemerkt, dass sein Gesicht mit Sommersprossen übersät war. Andres’ Stimme klang so bewegt, dass ihr aus unerklärlichen Gründen der Gedanke durch den Kopf schoss, sie höre sich an wie lauter tönende Sommersprossen.
»Hast du das Briefchen gelesen?«
Es war das erste Mal, dass sie miteinander sprachen.
»Ja.«
»Und? Was hältst du davon?«
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Es ist … schön.«
Da nahm Andres all seinen Mut zusammen, neigte sich zu ihr und küsste sie auf die Wange.
Helena wandte den Kopf zur Seite und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Dort, im Gegenlicht, stand ihr Vater in der Stalltür und hatte alles mit angesehen. Alles und nur das, was vorgefallen war.
Ein gleichaltriger Junge hatte sie auf die Wange geküsst.
Wie ein Wilder stürzte sich Parker auf den Ärmsten und verpasste ihm eine so gewaltige Backpfeife, dass er aus Mund und Nase zu bluten begann. Dann packte er ihn und schmetterte ihn gegen die Box von Mister Martin, der mit einem kurzen, erschrockenen Wie474
hern zurückwich. Das Blut tropfte auf Andres’ Hemd. Ihr Vater nahm ihn beim Schlafittchen und zog ihn wieder hoch.
»Und jetzt kommst du mit mir mit, du kleiner Bastard.«
Er schleifte Andres vors Haus und warf ihn Bryan Jeffereau, der mit offenem Mund und klaffender Gartenschere dastand,
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