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Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Faletti
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gestülpt, war ein Schauspiel, das auch das unerschütterlichste Gemüt ins Wanken bringen konnte. Ein Schauspiel, das jeder von ihnen Tag und Nacht vor Augen haben würde, wer weiß wie lange noch …
    Immer noch fiel es Frank schwer zu glauben, dass er gesehen hatte, was er gesehen hatte. Es gelang ihm nicht, ein ungesundes Gefühl loszuwerden, das Bedürfnis, sich ununterbrochen zu waschen, als müsse er seinen Körper und seinen Geist von dem Bösen an sich reinigen, das diesen Ort zu regieren schien. Er fühlte eine Art Unbehagen in sich, einfach nur, weil er diese Luft eingeatmet hatte, als habe er sich mit dem Wahnsinn wie mit einem Virus infiziert, das jedes Opfer, im Griff derselben Krankheit, zu denselben Handlungen fähig sein ließ.
    Eine Sache konnte Frank nicht aufhören, sich zu fragen.
    Warum?
    Dieses Wort sprang in seinem Kopf herum, als kenne es das Geheimnis des Perpetuum mobile, auch wenn ihm klar war, dass die Antwort auf diese Frage keine Bedeutung hatte, noch nicht.
    Als er in den Bunker eingedrungen war, hatte er ihn von oben bis unten durchsucht. Die Pistole im Anschlag, hatte er sich einen Weg durch den dicken Rauch gebahnt, und sein Herz hatte so stark geklopft, dass es sogar die hämmernde Musik übertönte. Nachdem er die Stereoanlage ausgeschaltet hatte, war nur noch sein keuchender Atem zu hören gewesen, der gespenstisch in seiner Gasmaske widerhallte. Doch außer der reglosen Gegenwart jenes Körpers, der in seiner monströsen Eitelkeit in einem durchsichtigen Sarg aufgebahrt 536

    lag, hatte er nur leere Räume vorgefunden.
    Wie hypnotisiert hatte er den Leichnam angestarrt, eine endlose Minute lang, hatte die Augen über seine erbarmungswürdige Nacktheit wandern lassen und den Blick nicht von diesem Schauspiel des Todes lösen können, das eine krankhafte Fantasie auf grausige und geniale Weise geadelt hatte. Lange hatte er das Gesicht fixiert, diese eigentümliche Totenmaske, welche die Zeit und die Natur langsam und allmählich dem Rest des Körpers anverwandeln würden. Auf dem Hals der Leiche waren ein paar geronnene Blutstropfen aus den überstehenden Rändern getreten und zeugten von der Vorläufigkeit dieser widernatürlichen Verpflanzung.
    Das also war der Zweck all dieser Morde gewesen? All diese Menschen waren nur umgebracht worden, um einen Toten in der Illusion zu wiegen, dass er noch lebendig sei? Was für ein blutrünstiger, heidnischer Götzendienst mochte diese Ungeheuerlichkeit inspiriert haben? Was war die Erklärung, falls es hier je eine Logik geben mochte, für diesen Totenritus, der so viele unschuldige Opfer gefordert hatte?
    Dies ist der reine Wahnsinn, hatte er gedacht, die Fähigkeit, sich von sich selbst zu nähren, um immer wieder von neuem nichts als Wahnsinn zu zeugen.
    Als es ihm endlich gelungen war, sich zu rühren und seinen Blick von der schrecklichen Szene zu lösen, hatte er diesen Albtraum verlassen und jedem der Männer draußen die Gelegenheit gegeben, seinerseits einzutreten.
    Das Geräusch der Krankenwagentüren, die zugeklappt wurden, holte Frank in die Gegenwart zurück. Neben dem Fahrzeug tauchte Roberts’ dürre Gestalt auf und kam auf sie zu. Hinter ihm war ein Polizeiauto zu sehen, das mit laufendem Motor und geöffneter Beifahrertür auf ihn wartete. Sein Gesicht war das eines Mannes, der an einem Ort gewesen war, an dem er niemals hätte gewesen sein sollen. Wie sie alle.
    »Also, wir fahren«, sagte er mit tonloser Stimme.
    Frank und Morelli drückten ihm die Hand und verabschiedeten sich, ohne zu merken, dass ihre Stimmen genauso klangen. Kommissar Roberts hatte Mühe, ihnen dabei in die Augen zu sehen. Auch wenn er die Geschichte eher aus einer Außenperspektive verfolgt hatte und nicht von Beginn an in diesen tobsüchtigen Kampf einbezogen gewesen war, so spiegelten seine Augen dieselbe müde Enttäuschung wider. Er entfernte sich in seinem schlaksigen Gang, in 537

    dem sich jetzt auch die Erschöpfung niederschlug, die das plötzliche Schwinden einer starken Anspannung häufig nach sich zieht. Vielleicht sehnte auch er sich danach, in das normale Leben zurückzukehren, zu den Episoden gewöhnlichen Elends und gewöhnlicher Gier, zu den Männern und Frauen, die aus Eifersucht töteten, aus Geldgier oder durch Zufall. Momente des Wahnsinns, die wieder vergingen. Momente des Wahnsinns, die man nicht, unlösbar an die Erinnerung gekettet, für den Rest seines Lebens wie makabre Trophäen mit sich herumtragen musste. Vielleicht

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