Ich Töte
hatte auch er, wie sie alle, einen einzigen Wunsch. Sich so schnell wie möglich von diesem Haus zu entfernen und zu versuchen, seine Existenz zu vergessen.
Die Türen schlugen zu, der Wagen startete und war schließlich von hinten zu sehen, wie er auf der Steigung vom Vorhof zur Straße verschwand.
Gavin und seine Truppe waren schon vor einer ganzen Weile weggefahren. Und Gachot hatte mit seinem Team das Gleiche getan.
Langsam hatten sich ihre blauen Mannschaftswagen entfernt, mit all den Männern und Waffen an Bord, den ausgeklügelten Geräten und jenem banalen, gewöhnlichen Gefühl der Schmach, das sich nach erlittener Niederlage seit jeher über die großen und die kleinen Heere legt.
Auch Morelli hatte seine Leute schon in die Zentrale zurückgeschickt. Nur zwei Beamte waren noch da, um die letzten Aktionen zu überwachen und den Krankenwagen zum Leichenschauhaus zu eskortieren.
Die Straßensperren waren bereits aufgehoben, und die langen Autoschlangen, die sich in beiden Fahrtrichtungen gebildet hatten, lösten sich allmählich auf, auch dank der Hilfe einiger Polizisten, die den Verkehr regelten und die Schaulustigen davon abhielten, stehen zu bleiben und zu glotzen. Der Stau hatte die professionellen Schnüffler daran gehindert, rechtzeitig zur Stelle zu sein. Als sie es geschafft hatten durchzukommen, war bereits alles vorbei gewesen, und es gab nicht einmal die geringste Neuigkeit zu vermelden.
Diesmal konnten die Medienleute mit der Polizei nichts als eine große Enttäuschung teilen. Frank hatte Morelli beauftragt, mit den Leuten von der Presse zu sprechen, und der Inspektor hatte sie rasch und freundlich abgefertigt. Ohne allzu große Mühe sogar.
»Ich fahre jetzt in die Zentrale, Frank. Und du?«
Frank blickte auf die Uhr. Er dachte an Nathan Parker, der am 538
Flughafen von Nizza sicher vor Wut kochte. Er hatte sich eingebildet, dass er in Erleichterung gehüllt wie in einen neuen Anzug zu ihm stoßen würde, die schreckliche Geschichte endlich hinter sich lassend. Er wollte, dass alles vorbei sei. Doch leider war es das ganz und gar nicht.
»Fahr ruhig, Claude. Ich mach mich auch gleich auf den Weg.«
Sie blickten sich an, und der Inspektor hob die Hand zum Gruß.
Sie sprachen so wenige Worte wie möglich, denn beiden kam es so vor, als seien sie ihnen abhanden gekommen. Morelli ging die Rampe vor der Garage hinauf zum Auto, das ihn oben auf der Straße erwartete. Frank sah ihn hinter einer Gruppe von Mastixsträuchern verschwinden.
Der Krankenwagen legte den Rückwärtsgang ein, um auf dem Vorplatz zu wenden. Der Mann auf dem Beifahrersitz warf Frank durchs Fenster einen ausdruckslosen Blick zu. Was sie gerade erlebt hatten, schien ihn nicht im Mindesten zu beeindrucken. Ob nun seit einer Stunde, einem Jahr oder einem Jahrhundert tot, es waren alles Leichen, die sie transportierten. Für ihn war es offenbar eine Fahrt wie jede andere. Auf dem Armaturenbrett lag eine zusammengefaltete Sportzeitung. Das Letzte, was Frank sah, als der weiße Wagen anfuhr, war das flüchtige Bild einer Hand, die sich nach dieser Zeitung ausstreckte.
Nun stand er allein auf dem Vorplatz in der Nachmittagssonne, deren Wärme er nicht verspürte. Es lag eine melancholische Schwere in der Luft, als würde ein Zirkus abgebaut, als sei das Dunkel und das Glitzern in den Augen verschwunden und könne nicht mehr über die triste Realität hinwegtäuschen. Geblieben war das Sägemehl voller Flitter und dem Kot der Tiere. Da gab es keine Akrobaten mehr und Frauen in bunten Kostümen, da war keine Musik mehr und kein Applaus des Publikums, nur ein Clown, der in der Sonne stand.
Und es gibt nichts Traurigeres als einen Clown, der niemanden zum Lachen bringt.
Obwohl er an Helena dachte, konnte er sich nicht entschließen, diesen Ort zu verlassen. Er fühlte, dass da irgendetwas war, was sie als normal hingenommen hatten, was aber nicht normal war. Es ging um ein Detail, wie schon die ganze Zeit. Winzige Details. Das Detail auf der Plattenhülle vom Video, die Spiegelung von Strickers Botschaft, die in umgekehrter Lesrichtung eine ganz neue Bedeutung erhalten hatte …
Frank zwang sich, ruhig nachzudenken.
539
Während der gesamten Zeit, in der Jean-Loup unter Polizeischutz gestanden hatte, war seine Villa rund um die Uhr beobachtet worden.
Wie war es ihm bloß gelungen, ihre Überwachung zu umgehen und das Haus zu verlassen? Die Morde waren immer nachts begangen worden, also zu einer Zeit, in der die
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