Ich Töte
Musik, meinst du?«
»Ja. Er hat das Telefonat mit einem Stück aus der Filmmusik von Ein Mann und eine Frau beendet.«
Hulot erinnerte sich, den Film von Lelouch vor Jahren gesehen zu haben, ganz am Anfang seiner Beziehung zu Celine, seiner Frau.
Er erinnerte sich noch ganz genau an die schöne Liebesgeschichte, die sie als gutes Vorzeichen für ihre Zukunft gedeutet hatten.
Frank fuhr fort und erinnerte ihn an etwas, das ihm im Moment entfallen war.
»Die männliche Hauptfigur in dem Film ist ein Rallyefahrer.«
»Jetzt, wo du es sagst, das stimmt! Und Jochen Welder war Rennfahrer. Aber dann …«
»Ganz genau. Nicht nur, dass er seine Absicht zu töten im Radio bekannt gegeben hat, er hat auch einen Hinweis darauf hinterlassen, wen er ermorden wollte. Und meiner Meinung nach ist es noch nicht zu Ende. Er hat getötet, und er will es wieder tun. Und wir müssen ihn daran hindern. Wie, habe ich keine Ahnung, aber wir müssen es um jeden Preis tun.«
Das Auto hielt an einer weiteren roten Ampel, an dem kurzen Abhang am Ende des Boulevard Carnot. Vor ihnen lag Nizza, die Stadt am Meer, ausgeblichen und menschlich, weit entfernt von der satinierten Sauberkeit Monte Carlos und seiner Bevölkerung aus Luxuspensionären.
Während er das Auto zur Place Massena lenkte, wandte Hulot den Kopf, um Frank auf dem Beifahrersitz anzusehen. Der starrte vor sich hin mit dem versunkenen Ausdruck von Odysseus, der auf den Gesang der Sirenen wartet.
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Nicolas Hulot hielt mit seinem Peugeot 206 direkt vor dem Tor der Polizeikaserne von Auvare in der Rue de Roquebillière.
Ein Beamter in Uniform, der kerzengerade vor dem Pförtnerhäuschen stand, machte sichtlich genervt Anstalten, sie von diesem für Polizeiangehörige reservierten Eingang zu vertreiben. Der Kommissar hielt seinen Ausweis aus dem Autofenster.
»Kommissar Hulot, Sûreté Publique, Monaco. Ich habe einen Termin bei Kommissar Froben.«
»Entschuldigen Sie, Herr Kommissar. Ich hatte Sie nicht erkannt.
Stets zu Diensten.«
»Könnten Sie bitte Bescheid geben, dass wir hier sind?«
»Wird sofort erledigt. Kommen Sie in der Zwischenzeit ruhig herein.«
»Vielen Dank.«
Hulot fuhr einige Meter vor und parkte das Auto am Straßenrand im Schatten. Frank stieg aus und sah sich um. Die Kaserne von Auvare bestand aus einem Komplex zweistöckiger Gebäude mit grauen Mauern, roten Dächern und Tür- und Fensterrahmen aus dunklem Holz. Die rechteckigen, schachbrettartig angeordneten Gebäude hatten keinerlei Verbindung miteinander. Bei denjenigen, die zur Straße zeigten, führte an der Stirnseite eine Außentreppe ins obere Stockwerk.
Der Kommissar fragte sich, wie das alles wohl in den Augen seines amerikanischen Freundes wirken mochte. Nizza war eine andere Stadt in einer anderen Welt. Vielleicht sogar ein anderer Planet, dessen Sprache er zwar verstand, dessen Mentalität jedoch nur Teil seiner Kultur, nicht seines Lebens war.
Kleine Häuser, kleine Cafés, kleine Menschen.
Kein amerikanischer Traum, kein Wolkenkratzer, der in sich zusammenstürzte, nur kleine Träume, wenn überhaupt, teilweise in der Seeluft verblichen wie die Mauern mancher Häuser. Kleine Träume, die jedoch, wenn sie zerbrachen, denselben ungeheuren Schmerz verursachten wie die großen.
An der Mauer direkt vor ihnen, am Eingang zur Zentrale, hatte jemand ein Plakat gegen die Globalisierung aufgehängt. Menschen, die dafür kämpften, die Welt überall gleich zu machen, gegen Menschen, die darum kämpften, ihre Identität nicht zu verlieren. Europa, Amerika, China, Asien … Das waren nur bunte Flecken auf Weltkar88
ten, Ziffern in den Tabellen der Wechselstuben, Namen in den Wörterbüchern der Bibliotheken. Jetzt gab es das Internet, die Medien, die Nachrichten in Echtzeit. Merkmale einer Welt, die immer größer wurde oder immer kleiner, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man sie betrachtete.
Das Einzige, das wirklich die Entfernungen schwinden ließ, war das allgegenwärtige Böse, das überall dieselbe Sprache sprach und seine Botschaften immer mit derselben Tinte schrieb.
Frank schloss die Autotür und wandte sich ihm zu.
Hulot sah einen Mann von achtunddreißig Jahren mit den Augen eines Greises, dem das Leben die Weisheit verweigert hatte. Er sah ein dunkles Gesicht, Latino, über dem ein Schatten lag, der dunkler war als seine Augen und sein Haar und der Schatten des Bartes auf seinen Wangen. Ein Mann mit einem athletischen Körper, stark, ein Mann, der schon andere
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