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Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Faletti
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spüren, die wahre 82

    Farbe des Meeres zu sehen, das Herz in seiner Brust pochen zu hören, endlich ohne den Schlag der Totentrommel.
    Er büßte für seine Torheit.
    Die ganze Welt büßte für ihre Torheit.
    Er hatte das stundenlang vor sich hin gesagt nach Harriets Tod, auf einer Parkbank im Garten der St. James Clinic, wo man ihn, dem Wahnsinn nahe, aufgenommen hatte. Wirklich begriffen hatte er das erst Monate später während der Katastrophe des World Trade Center, als er im Fernsehen diese beiden Monumentalbauten in sich zusammenfallen sah, wie nur Illusionen in sich zusammenfallen können. Menschen stürzten sich im Namen Gottes mit Flugzeugen in Wolkenkratzer, während jemand anderer sicher und trocken in seinem Büro saß und schon wusste, wie aus ihrem Wahnsinn an der Börse Kapital zu schlagen sei. Andere lebten davon, Minen zu bauen und zu verkaufen, und zu Weihnachten brachten sie ihren Kindern Geschenke mit, die mit dem Leben und der Unversehrtheit anderer Kinder bezahlt waren. Das Gewissen war ein Anhängsel, dessen Bedeutung mit dem Ölpreis schwankte. Bei alledem war es nicht verwunderlich, dass ab und zu mal jemand auftauchte und aus eigenem Antrieb sein Schicksal in Blut schrieb.
    Ich töte …
    Die Schuldgefühle wegen Harriets Tod würden sein ständiger, grausamer Begleiter sein und ihn niemals mehr verlassen. Das allein wäre Strafe genug für den Rest seiner Tage. Nie würde er das vergessen. Er würde es nicht vergessen, auch wenn sein Leben eine Ewigkeit dauerte. Und er würde sich nicht verzeihen, auch wenn sein Leben zwei Ewigkeiten dauerte.
    Er konnte dem Wahnsinn der Welt kein Ende bereiten. Er konnte höchstens seinem eigenen Wahnsinn Einhalt gebieten und hoffen, dass diejenigen, denen es noch möglich war, seinem Beispiel folgen würden. Und er konnte für immer diese Schrift auslöschen und alle Schriften wie diese. Er blieb auf den Steinen sitzen und weinte, ohne auf die neugierigen Blicke der Passanten zu achten, bis er fand, dass er keine Tränen mehr hatte.
    Dann stand er auf und ging langsam zum Polizeipräsidium zurück.
    83

10
    »Ich töte …«
    Die Stimme schwebte einen Augenblick lang im Auto und schien sich vom gedämpften Brummen des Motors zu nähren, um dann wie ein Echo im Innenraum auszuhallen.
    Kommissar Hulot drückte einen Knopf am Autoradio, und das Band stoppte an der Stelle, wo Jean-Loup Verdiers Stimme zu hören war, der mühsam die Sendung weiterzumoderieren versuchte. Nach dem Gespräch mit dem Moderator und Robert Bikjalo, dem Intendanten von Radio Monte Carlo, hatte eine kleine grausame Hoffnung hinter dem Berg hervorgelugt, den die Ermittler so verzweifelt zu erklimmen suchten.
    Möglicherweise war dieser Anruf während der Übertragung von Voices einfach nur das Werk eines Verrückten, ein unerhörter Zufall, ein astrologisches Jahrtausendereignis.
    Doch jene zwei Worte »Ich töte …« am Ende des Gesprächs als Drohung hingeworfen, waren exakt dieselben wie die auf dem Holztisch der Yacht, geschrieben mit dem Blut unschuldiger Opfer.
    Hulot hielt an einer roten Ampel. Vor ihnen schob eine Frau einen Kinderwagen über die Straße. Auf der rechten Seite stützte sich ein Fahrradfahrer mit gelbem Rad und blauem Kunstfaserdress am Ampelmast ab, um die Füße nicht von den Pedalen nehmen zu müssen.
    Um ihn herum war alles Farbe und Wärme. Mit Macht kündigte sich der Sommer an, mit all seinen Versprechungen, auf den Terrassen vor den Bars, in den Straßen voller Menschen, auf der belebten Promenade, wo Männer, Frauen und Kinder nichts anderes wollten, als sie zu beleben.
    Alles war ganz normal.
    Nur in diesem Auto an der roten Ampel, die wie eine blutbefleckte Laterne erglühte, lauerte etwas, das die Kraft besaß, all dieses Licht zu verdunkeln und die Farben der Welt in mattes Schwarz und Weiß zu verwandeln.
    »Gibt es irgendwelche Neuigkeiten von der Spurensicherung?«, fragte Frank.
    Die Ampel sprang auf Grün. Hulot legte den Gang ein und fuhr an. Der Fahrradfahrer entfernte sich rasch. Auf seinen Pedalen war ihm eine höhere Geschwindigkeit möglich als der Autokolonne, die sich langsam an der Küste entlangschob.
    84

    »Der Bericht des Pathologen ist eingetroffen. Sie haben die Autopsie in Rekordzeit abgeschlossen. Irgendein hohes Tier muss die Telefonleitungen zum Glühen gebracht haben, sonst hätten wir die Ergebnisse nie so schnell bekommen. Alles hat sich bestätigt. Das Mädchen ist erstickt, doch in ihrer Lunge befand sich kein

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