Ich Töte
verzichten würde. Hulot, halten Sie uns zu jeder Tages- und 158
Nachtzeit auf dem Laufenden. Hals und Beinbruch, meine Herren.«
Er wandte sich zur Tür, öffnete sie und verließ das Büro, sie sorgfältig wieder hinter sich schließend. Der Inhalt seiner Ansprache, vor allem jedoch der Ton seiner Stimme, ließ keinen Zweifel daran, was er mit »Wir müssen ihn schnappen« gemeint hatte. Die Übersetzung lautete »Ihr müsst ihn schnappen«, und die Drohung mit den unangenehmen Nebenwirkungen im Falle eines Misserfolgs war nicht sonderlich verhüllt.
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Frank, Hulot und Morelli blieben im Zimmer zurück und kosteten den bitteren Geschmack der Niederlage aus. Sie hatten eine Spur gehabt und hatten sie nicht verstanden. Sie hatten die Möglichkeit gehabt, einen Mörder aufzuhalten, und jetzt hatten sie nur eine weitere Leiche mit abgezogenem Kopf, die ausgestreckt auf dem Tisch einer Leichenhalle lag. Roncaille war vorerst nur als Kundschafter gekommen, hatte in Erwartung des eigentlichen Gefechts eine Aufklärungsrunde gedreht. Er wollte ihnen ankündigen, dass ab jetzt Kräfte entfesselt würden, die viele Köpfe rollen lassen könnten. Und sollte sein eigener darunter sein, so würde er nicht allein rollen.
Punktum.
Es klopfte an der Tür.
»Herein.«
Im Türrahmen erschien das markante Gesicht von Claude Froben.
»Kommissar Froben zum Rapport.«
»Ah, hallo, Claude, komm doch rein.«
Froben trat ein und bemerkte sofort die niedergeschlagene Stimmung, die in der Luft lag.
»Salut, ihr alle. Ich bin Roncaille begegnet, hier draußen.
Schlechte Zeiten, was?«
»Schlechter geht’s nicht.«
»Hier nimm, Nicolas, ich habe dir ein Geschenk mitgebracht. In Rekordzeit entwickelt, ganz allein für dich. Was den Rest angeht, tut mir Leid, aber da müsst ihr euch noch ein bisschen gedulden.«
Er legte einen braunen Umschlag, den er in der Hand gehalten hatte, auf den Schreibtisch. Frank stand aus seinem Sessel auf und ging hinüber, um ihn zu öffnen. Es waren Schwarz-Weiß-Fotos darin. Er blätterte sie durch und erblickte eine statische Version dessen, was er schon auf dem Video gesehen hatte, ein leeres Zimmer als metaphysisches Abbild eines Verbrechens. Den Raum, in dem eine Figur in Schwarz einen Mann mit noch schwärzerer Seele hingeschlachtet hatte. Und jetzt befanden sich weder der eine noch der andere darin.
Er überflog rasch die Fotos und reichte sie dann Hulot. Der Kommissar legte sie auf den Schreibtisch zurück, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen.
»Irgendwas gefunden?«, fragte er Froben ohne allzu große Hoff160
nungen.
»Du kannst dir vorstellen, mit welcher Sorgfalt meine Jungs dieses Zimmer und das ganze Haus durchkämmt haben. Es gibt einen ganzen Haufen Fingerabdrücke, aber du weißt ja, einen Haufen Abdrücke zu haben, bedeutet manchmal, in Wirklichkeit keinen einzigen zu haben. Wenn du mir die des Toten beschaffst, können wir zumindest einen Abgleich zur endgültigen Identifikation machen.
Wir haben Haare in dem Sessel gefunden, doch auch die stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit von Yoshida …«
»Die Haare sind von Yoshida. Und der Tote ist hundertprozentig er«, unterbrach ihn Hulot.
»Wie kannst du da so sicher sein?«
»Bevor wir weitermachen, solltest du wohl etwas sehen.«
»Was denn?«
Hulot lehnte sich zurück und drehte sich zu Morelli um.
»Setz dich, und mach dich auf etwas gefasst. Morelli, fahr bitte das Band ab.«
Der Inspektor hielt die Fernbedienung Richtung Bildschirm, und er füllte sich noch einmal mit jenem makabren Tanz des Mannes, der mordet, um jenen, der sterben muss. Sein Messer schien wie eine Nadel, die den Tod auf Yoshidas Kleider nähte, ein rotes Kostüm aus Blut für einen höllischen Karneval. Frobens Augen weiteten sich vor Entsetzen. Als der Film mit der schrägen und zufriedenen Verbeugung des Mannes in Schwarz endete, brauchte er eine Weile, bis er wieder sprechen konnte.
»Heiliger Herr Jesus, das ist nicht mehr von dieser Welt … Da möchte man sich am liebsten bekreuzigen. Was geht nur im Kopf dieses Mannes vor?«
»Alle Talente, welche der Wahnsinn der Niedertracht zur Verfügung stellen kann: Kaltblütigkeit, Intelligenz und Verschlagenheit.
Und nicht die geringste Spur von Mitleid.«
In Franks Worten lag sein Urteil, und es war auch das des Mörders, dem er sich gegenübersah. Jener würde immer weiter morden, wenn er ihn nicht mit dem Rücken an die Wand nagelte. Und um das zu erreichen, würde er den Geist
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