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Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelle Groom
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hatte ich die Panikattacke. Ich saß allein im Dunkeln, als mir einfiel, dass meine Freundin Janean sich bei mir gemeldet hatte. Ich rief zurück. Ich glaube, sie hat gesagt, dass sie mich liebt. Vielleicht nicht, aber es fühlte sich so an. Bevor ich losfuhr, hatte ich meiner Betreuerin aus der letzten Stadt, in der ich gelebt hatte, eine Mail geschickt. Erklärte ihr, was ich vorhatte. Sie sagte, ihr falle dabei ein, dass Dankbarkeit eine Handlung sei. Ich wusste, dass sie meinte, ich würde meinen Verwandten gegenüber meine Dankbarkeit ausdrücken, ich würde ihnen dafür danken, dass sie meinen Sohn zu sich genommen hatten. Aber ich würde ihnen auch etwas nehmen – ich wusste, dass über meinen Sohn zu sprechen ihnen wehtun würde. Trotzdem, auch ich betrachtete Handeln, das Tätigwerden, als Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, lebendig zu sein. Ich betrachtete Handeln als etwas Gutes, als eine Ertüchtigung, als würde man ein zusätzliches Gewicht heben.
    Ich weiß nicht, wie sehr ich meinen Verwandten wehgetan habe. Meinem Onkel, der so wenig verankert zu sein schien. Als würde er ertrinken und trotzdem noch über Tommy sprechen, meinetwegen, weil ich das brauchte. Ich weiß, dass er das auch brauchte, aber was, wenn er nicht die Kraft dazu hatte? Während meines Aufenthalts hatten wir erfahren, dass Anne im Sterben lag. Die Erstarrung ihres Körpers schritt voran. Sie war ins Krankenhaus eingewiesen worden. Als ich wieder zu Hause war, erhielt ich eine Mail von Julia, sie schrieb, sie habe Anne nur erkannt, weil mein Onkel ihr voraus ins Zimmer gegangen sei. »Sie hat mir beide Daumen hochgehalten«, sagte Julia, »zum Zeichen, dass alles in Ordnung sei.« Sie schrieb, es sei schwer, nicht zu weinen. Sie hatten Anne von meinem Besuch erzählt und von meinem neuen Gedichtband. Anne tippte in ihre Maschine. »Sie würde gern eins deiner Bücher haben«, sagte Julia. »Eine der Krankenschwestern kann ihr deine Gedichte vorlesen.« Außerdem hatte Anne geschrieben: »Macht euch keine Sorgen um mich, ich hatte ein gutes Leben.« Zu Weihnachten schickte ich Julia ein Buch für Anne, ein T-Shirt mit einem Hund drauf und der Aufschrift: »Für Julia«, einen Becher mit Hundesprache für Mark und sechs Hundekekse, zu einer Schleife gebunden. Ich habe nichts von ihnen gehört. Ich weiß nicht, ob es Anne schlechter geht oder ob sie gehofft hatten, ich würde die zu einer DVD umgewandelten Kassetten von Tommy schicken (statt meiner albernen Geschenke), oder ob mein Dad ihnen erzählt hatte, dass ich wahrscheinlich über sie schreiben werde. Oder was.
    Noch einmal muss ich handeln – und jemanden finden, der die Kassetten von Tommy zu einer DVD umwandeln kann. Das ist etwas, das ich für meine Tante und meine Onkel tun kann, wozu sie selbst nicht imstande waren. Das ich tun kann, weil ich sie liebe. Und das ist es ja, was ich von Anfang an wollte – meinen Sohn finden. Den ich jetzt in meinem Gesicht sehe und der in der Welt zwischen 1981 und 1982 lebendig war, auf diesen Kassetten. Bald finde ich ihn dort.
    Als ich zu Hause war und wieder zur Arbeit ging, wollte ich nicht über meine Reise sprechen; ich hatte Angst, es zu zerreden. So, wie vieles zerredet werden kann, von einem Zuhörer zu einer Anekdote reduziert. Aber ich dachte an Kim, die Dichterin, und ihren Mann, bei denen ich in Newton gewohnt hatte. Mit ihnen, diesen freundlichen Fremden, zu sprechen, war überhaupt nicht so. Als ich wieder zu Hause war, schrieb ich ihnen einen Brief. Kim schrieb zurück und sagte: »Frank spricht von deinem Besuch als einer Art Wendepunkt für Veränderung, die wir in unserem Leben vornehmen wollen.« Sie sagte: »Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass du wegen des Besuchs bei uns nervös warst. Du hast gestrahlt.«

Strahlentierchen
    1 .
     
    In
Eine neue Widerlegung der Zeit
sagt Borges: »Die Nacht behagt uns deshalb, weil sie wie die Erinnerung die überflüssigen Details unterdrückt.« Die Spirale als Spiegel der Milchstraße, der Unterwelt, sogar für das Innere des Körpers, das Fallen durch viele Nächte. In dem Jahr in Massachusetts, bevor mein Sohn geboren wurde, ging ich gern im Dunkeln laufen. Besonders im Schnee. Ich lief um Mitternacht los, wenn es ruhig war, an Fabriken vorbei, durch leere Straßen, das einzige gelbe Licht das vom Dunkin’-Donuts-Laden. Das Mädchen im Studentenheim von Bridgewater riet mir ab, nachts zu laufen, aber ich fühlte mich immer sicher. Obwohl ein Gefängnis in der Nähe war.

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