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Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)
Autoren: Kelle Groom
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ob er noch wachsen würde. Meistenteils waren unsere Gespräche stimmlos, aber wenn wir etwas sagten, fühlte es sich an, als würden die Worte durch ein Walkie-Talkie gesprochen. Eine Pause da, wo man auf den Knopf drückte, um zu sprechen oder zuzuhören. Er kam aus einer Gegend, wo es feuchter war, aus Mississippi, was seine Bewegungen langsamer machte. Ich fing in der unteren Bar an zu trinken, scharfe Drinks, die kleine Feuer in mir entfachten. Vier lange Treppen, auf denen ich wie über Planken zur oberen Bar hochstieg, einem Boot. Von da gab es keinen Ausgang. Nur eine Glaswand, vor der Flaschen standen. Steve ist hinter der Bar und steht auf der schwarzen Gummimatte mit dem Lochmuster. Er spült Gläser, lächelt. Wahrscheinlich hat ein psychologisches Trauma mehrere Stadien, die ich durchlaufen muss. Die Nonne kannte sie wahrscheinlich. Ich schicke ein Lächeln aus, nehme Steves Einladung in seine Wohnung an. Immer wieder hebe ich mein Glas an die Lippen.
    Ich muss bis zur letzten Runde warten, bis alle Lichter blinken und dann voll angeschaltet werden. Ich darf an der Bar warten, während Steve und die anderen beiden Barkeeper und der Manager die Bar schließen und mit Chlor sauber machen, Moleküle in der Luft, in meinen Lungen. Mein Haar in tausend Locken oder mehr sieht lebendig aus.
    Ich lasse mein Auto stehen, das ist sicherer. Steve fährt an dem grasigen See vorbei zum Maltese Circle, zum Regency. Er stellt das Auto zwischen den weißen Linien ab. Weiße Steine fassen ein Oval mit Wasser ein, das türkis von der Farbe des Beckenbodens ist. Ein vorgetäuschter See, davor fünf Flaggen, die eine Zeit anzeigen, ein Land, das von einem anderen regiert wird, während der Monarch verreist ist. Steves Hand berührt meine Hüfte da, wo ich mich vor Kurzem erst wie Asche gefühlt habe, wie eine Matratze, die in einem brennenden Haus zurückgelassen wurde. Die jemand durch ein offenes Fenster gesehen hat, in einer Stadt, in der niemand lebt. Jetzt, unter seiner Hand, ist meine Hüfte nur dunkel.
    Ich bin betrunken, liege auf seinem Wasserbett, und natürlich wird mir übel. Das Medikament ist immer noch in meinem Körper. Mir ist heiß, in meinem Kopf pocht es, mir ist schlecht. Das Bett ist wie das Meer mit hohen Wellen. Mein Magen fühlt sich an, als würde er sich selbst beißen. Aber wenn schon. Ich bin in meinem eigenen Körper, ich sage:
Komm rein.
Ich war nicht lange weg. Kein blutiges Stück in einem Müllwagen, im Bauschutt, zermalmt im Erdreich auf einer Baustelle für eine Siedlung, einen Vorort. Ich liege nicht unter einem Gehweg, und die Motorräder fahren nicht über mich hinweg.
Mit seinem Schatten bedeckt.
    Ich bin nackt, Schmutzklümpchen lösen sich von meinen Zähnen. Meine Knochen fühlen sich schief an, aber die misshandelten Stellen schmiegen sich an ihn, sie sind nicht in Panik. Die Ader auf seinem Handrücken, dahin will ich. Wir werden nicht lange zusammen sein. In ein paar Tagen, wenn ich so tue, als wäre er mein echter Freund, werden wir streiten und auseinanderkommen. Er wird ein Mädchen finden, klein, mit einem glücklichen Gesicht. Aber im Regency küsst mein Mund, dem Grab gerade entkommen, seinen Mund. Die Lippen wieder rosa, das Geschenk, der Bogen, nach oben geschwungen, sich öffnend. Ich kann Steve nicht mehr richtig sehen, in diesem flüssigen Zustand, an den ich mich erinnere, der es mir möglich macht, zurückzukommen.

Der Nachtzug
     
    Manchmal fehlt mir das Trinken, die Eisenbahnbar. Es ist Januar 1984 . Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt, seit fast einem halben Jahr trocken. Wohne wieder zu Hause bei meinen Eltern. Mrs. Collins hat mich in die ruhigere Zweigstelle des Naturkostladens im Einkaufszentrum von Orlando versetzt. So lange habe ich noch nie ohne zu trinken ausgehalten. Der Sozialarbeiter mit dem braunen Schnurrbart im Dry Dock sagte, er liebe mich. Als er das sagte, ohne Hintergedanken, war ich seit vierundvierzig Tagen trocken. Ein Licht um mich herum. Es hilft, dass Sophie nicht in der Stadt ist. Ich werde nervös, wenn die kleine Prinzessin mich anruft – alle, mit denen ich mal getrunken habe, machen mich nervös. Ich habe Angst, sie möchten ausgehen. Ich bin bezaubert von den sich anhäufenden trockenen Tagen, zähle sie. Es kommt mir wie ein Wunder vor, wie sie immer mehr werden, wo ich doch vor nicht allzu langer Zeit jeden zweiten Tag trinken musste.
    An den Tagen, an denen ich keine Kurse habe, arbeite ich von zehn bis neunzehn Uhr oder von
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