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Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)
Autoren: Kelle Groom
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zeige ich meinen laminierten Ausweis, und der Matrose in weißer Uniform winkt mich durch. Es ist über ein Jahr her, dass ich bei der Entzugstherapie mitgemacht habe, aber ich bin immer noch Familienmitglied eines Militärangehörigen. Ich gehe immer noch zu den Dry-Dock-Treffen, schaffe es aber nicht, über längere Zeit trocken zu bleiben. Königin des Rückfalls. Wenn ich zu einem Treffen gehe, will ich einfach die Beständigkeit einatmen. Mein Arzt hat eine Hausarztpraxis. Hinter dem halbrunden Tisch stehen zwei Schwestern und eine Arzthelferin. »Ich bin vergewaltigt worden«, sage ich mechanisch. Die drei Frauen erstarren. Ich hätte sie vorbereiten sollen. Es ist wie in einem Science-Fiction-Film, in dem ich sie per Knopfdruck in eine Starre versetzt habe, damit ich nachdenken kann.
    Als sich die Dinge wieder in Bewegung setzen, bin ich im Behandlungszimmer meines Arztes. Ich weiß nicht, wie ich dort hingelangt bin. Unter seinem Schreibtisch stehen Sporttaschen. Weil ich Vergewaltigungsfilme im Fernsehen gesehen habe, erwarte ich, dass er mich untersucht. Er untersucht mich nicht. Seine Lippen bewegen sich. Ich antworte. Aber irgendwie ist es tonlos. Er nimmt den Hörer ab, um die Polizei anzurufen. Vor der Vergewaltigung war ich betrunken gewesen, bewusstlos. Ich versuche mich an den Straßennamen, das Haus, in das ich gebracht wurde, zu erinnern. Aber obwohl ich aus dem Fenster geguckt habe, als mich einer von dort wegfuhr, wurde die Gegend immer heller und greller. Bis ich nur noch ein grelles Licht sah. Ich stelle mir vor, wie ich dem Polizisten von dem grellen Licht erzähle.
    Das Gesicht meines Arztes ist rot und glänzend. Mit seinen Fingern verwischt er den Scheitel in seinem glatten braunen Haar. Das ist leicht – er hat feines Babyhaar. Ich stehe auf, lehne mich über seinen Schreibtisch und sage: »Nein.«
    »Wie meinen Sie das?«, fragt er. Ich weiß es nicht. Alles ist aus dem Lot. Der Kopf meines Arztes ist wie ein Ball, sein ganzer Körper ist rundlich, wie eine Rolle, obwohl die Sporttasche unter dem Schreibtisch steht, obwohl es nach sportlicher Betätigung aussieht. »Was soll ich Ihrer Meinung nach tun?«, fragt er mich. Er sieht besorgt aus. Ich hatte mir keine genaueren Gedanken über den Arztbesuch gemacht, außer dass ich mir eine medizinische Reinigung vorgestellt hatte, eine Abtötung der Bakterien, wie mit der antiseptischen roten Tinktur, die man auf eine Wunde tupft. Ein grünes Schaumbad mit pHisoderm, wie damals, als ich mir die Hände waschen musste, bevor ich mein Baby anfassen durfte.
    Ich sage: »Nichts. Es ist in Ordnung. Bei mir ist alles in Ordnung.«
    Es ist das Jahr 1983 . Einige Jahre zuvor findet Edward Keaton, ein Muskelmann aus der Gegend, ein betrunkenes Mädchen, das sich wankend vor JJ Whispers, einem Club auf der Lee Road in Winter Park, Florida, übergibt. Es ist ganz in der Nähe der Saftbar, in der ich arbeite. Damals bieten Keaton und seine Frau dem Mädchen an, es im Auto nach Hause zu bringen, und es wacht mit verbundenen Augen und halb nackt, im eigenen Erbrochenen auf dem Fußboden in der Wohnung des Ehepaares liegend, auf. Fünf Stunden lang ist das Mädchen in der Wohnung.
Sie war durch Würgen zur Einwilligung gezwungen worden und floh am Morgen, als die Keatons sie zu ihrem Auto begleiteten.
Das Mädchen rannte nach Hause, und ihre Mutter rief die Polizei. Der Verteidiger wird später behaupten, das Mädchen habe
falsche Anschuldigungen erhoben, weil es ihr peinlich war, mit einer Frau Sex gehabt zu haben.
Aber der Bodybuilder bekommt eine lebenslange Gefängnisstrafe: Entführung, fünf Fälle von sexueller Nötigung, zwei Fälle von Nötigung und ein Fall von gesetzeswidriger Aufzeichnung mündlicher Kommunikation – er hatte die ganze Zeit ein Tonband laufen lassen. Die Ehefrau tritt als Kronzeugin auf; sie wird zu fünf Jahren Haft verurteilt.
    Ich wusste nicht, dass ein Geschworenengericht die Worte eines betrunkenen Mädchens ernst nehmen würde. Dass die Mutter des Opfers der Keatons gesagt hatte:
Doch, das mache ich,
und die Polizei angerufen hatte. Ich konnte nur den Menschen an den Rändern meines Lebens davon erzählen: der Managerin des Restaurants. Meine neue Mitbewohnerin, die nachts im Postversand arbeitet, wich vor mir, vor dem, was ich erzählte, zurück. Den Krankenschwestern, dem Arzt.
    Ein paar Tage nachdem ich bei meinem Arzt war, ruft eine kirchliche Beraterin an und bittet mich, zu ihr zu kommen. Sie sitzt in einem
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