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Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)
Autoren: Kelle Groom
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lieber. Gestern ist er mit dieser Susan weggegangen.« Aber es ist auch nicht nur Susan. Jetzt, nach 180  Tagen, sehe ich ihn noch manchmal, aber ich gehe mit anderen Männern aus. Er wird nie mein Freund sein. An der Universität sagt meine Lehrerin im Kurs für Kreatives Schreiben, wenn ich nicht trinke, könne ich Assistentin bei der Schriftstellertagung in Winter Park sein. Das würde mir gefallen.
    Im Geschäft beschrifte ich kleine weiße Tüten und fülle sie mit Körnern. Ein Berg schiefer Papierkuchen. Manchmal schreibe ich versehentlich Bills Namen auf eine Tüte und fülle sie. An der Eingangstür steht ein Blutdruckmessgerät. Morgens muss ich auf den kleinen Plastiksitz klettern, um die Alarmanlage auszuschalten, abends, um sie einzuschalten. Ich wickle mir gern den Schlauch um den Arm, wie eine grobe Hand, die zudrückt. Stelle meine Füße nebeneinander. Mein Blutdruck ist so niedrig, dass ich ohnmächtig werde, wenn ich zu lange still stehe. Einmal, als Kind, ich hatte auf den Bus gewartet, fiel ich in den Spalt zwischen dem Bordstein und den Stufen in den Bus, die Schritte der anderen Kinder über mir, als wäre ich im Untergrund gelandet. Bei meiner Arbeit muss ich viel stehen – ich habe gelernt, mich aufzustützen, mich auf die Theke zu setzen.
    Das Geschäft liegt in einer entlegenen Ecke des Einkaufszentrums. Die älteren Menschen kommen hierher wegen der körperlichen Betätigung, zu zweit oder zu dritt gehen sie von Ivey’s, einem Kaufhaus, zu Jordan Marsh, einem anderen Kaufhaus, wo es leer und kühl ist. Eine Art Vorbereitung auf das Grab. Nach und nach sterben die Geschäfte. Zehn Jahre später sitze ich im Café bei Barnes&Noble, der Buchhandlung, die da gebaut wurde, wo das Einkaufszentrum war, und einer meiner alten Kunden steht plötzlich vor mir. Er steht vor meinem Stuhl und sagt: »Hier war die Saftbar.« Die Saftbar unter unseren Füßen. Nach dem Basketballtraining kommt er zu mir in den Laden, ich mixe ihm einen Pep-Power-Drink – Erdbeeren, eine halbe Banane, Weizenkeime, Proteinpulver, Bierhefe, Eis. Ich kenne seinen Namen nicht, aber 1986 , als ich dauerhaft aus dem kleinen Laden zurück in den Laden in Winter Park versetzt werde, wo mehr los ist, erzähle ich ihm, dass mich der Wechsel nervös macht. An dem Tag, als ich in dem anderen Laden anfange, geblendet von dem großen Raum und den vielen Menschen, kommt er herein. Steht im Gang und lächelt mir zu. Und ein anderes Mal habe ich ihn vor dem Geschäft gesehen. Das war, nachdem ich das Alkohol-Therapieprogramm der Marine absolviert und Jason betrogen hatte. Wir fuhren auf dem Highway, ich saß in meinem Auto auf dem Beifahrersitz, Jason war am Steuer. Ich war außer mir und flehte Jason an, unsere Hochzeit nicht abzusagen. Der Mann aus der Saftbar war es, der plötzlich in dem Wagen neben uns fuhr. Er war es, der mich verlegen machte und damit zur Vernunft brachte.
    Pat hinter der Theke am Eingang sagte: »Du könntest mit meinem Neffen ausgehen.« Wir tragen die gleichen Socken – dünne Baumwollsöckchen in Eidottergelb. Nebenan ist ein Zeitungsladen, daneben das Klaviergeschäft. Wie viele Klaviere können sie an einem Tag verkaufen? Es sieht nach null im Jahr aus. Gegenüber eine Lunch-Bar. Weiter unten gibt es teuren Schmuck, Hochzeitsringe. Der Schmuckverkäufer, wie auch der Klavierverkäufer, scheint Energie zu sparen, sich nur wenig zu bewegen. Lehnt sich an die Scheibe. Manchmal gehe ich ein bisschen rum, begehe den Fehler, seinen Blick zu erwidern, der Schmuckverkäufer spricht mich an. Ich verdiene nur 4 , 25  Dollar in der Stunde. Welchen Schmuck könnte ich da kaufen?
    »Er ist nett«, sagte Pat. Ich habe ihren Neffen noch nie gesehen. Ich sage, ich würde gern mit einem netten Mann ausgehen. Ein verpasstes Zeichen. Pat nimmt das in die Hand. Dinner. Pat ist sehr klein. Ich vermute, dass ihr Neffe auch klein ist. Sie arbeitet nebenher Teilzeit in einem Kostümverleih auf dem Highway. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie da außer zu Halloween große Geschäfte machen. Der Laden ist wie ein Lager für Clowns. Ständer mit Make-up zum Schminken, kleine Tiegel mit Weiß und Schwarz und Rot. Die Kostüme kratzig und brennbar.
    Ein paar Abende später, um halb sieben, als der Neffe auf dem Weg zu meinen Eltern ist, um mich abzuholen, ruft Sophie an. Sie sagt: »Bill zieht weg.« Das Einzige, was ich denken kann, ist:
Ich muss raus, ich muss raus, ich muss raus.
Ich will nichts zählen, will nicht gezählt
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