Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)
gar ausknipsen würde – ich wäre eine Taschenlampe, erloschen und in ein unterirdisches Leben geschickt. Schließlich schlug ich auch so beim Aufwachen hin. Und ich meinte, noch immer unter den Weisungen von Alice in
Go ask Alice
zu stehen, die ich für ebenso wirklich hielt wie den angeblichen Grund ihres Todes, nämlich dass sie an einer Überdosis Heroin gestorben war. Alkohol erschien mir eher messbar. Die Anzahl der Gläser zählbar oder die leeren Flaschen, aber Heroin schien unkontrollierbar, eine Flut. Allerdings lehnte ich Neil nicht ab, bloß weil er einen Weg hinein gefunden hat.
Bevor ich in die Gore Street kam, war ich in einen Mann verliebt, der mir Neil Youngs Songs vorsang – »Down By the River«, »Sugar Mountain«. Und als ich ihn verlor, zerbrach ich so sehr, dass ich noch weiter in mich hineingetrieben wurde. Wir fanden im Sommer 1981 zusammen, in dem Sommer nach Tommys Geburt. Der Mann, der singen konnte, zeigte mir in seiner Hand die Stelle, wo seine Mutter gestorben war und wo er seinen eigenen Tod zu sehen vermeinte. Als wir uns trennten, saß ich lange auf meinem Bett. Starrte auf die weiße Wand, auf die Tür des Wandschranks. Ich hatte angefangen, mich mit dem Sugar-Mountain-Mann zu treffen, nachdem er sich von seiner Frau getrennt hatte. Wir waren drei Monate zusammen. Aber ich kannte ihn schon aus der Zeit, als ich im Eisenbahnrestaurant gearbeitet hatte. Er war dort der Küchenchef gewesen. Als ich 1979 zu meinem Vorstellungsgespräch ging, machte ich die Tür zur Küche auf und trat mit meinen hochhackigen Schuhen auf die schwarze Gummimatte. Ich war aufgeregt, wegen des Vorstellungsgesprächs, und meine Absätze blieben in den kleinen Löchern der Matte hängen. Ich versuchte sie herauszuziehen, und als ich den Blick hob, sah ich, wie er mich anlächelte. Er hatte die sehr blasse Haut eines Menschen aus dem Norden und glattes, dunkles Haar. Er gab mir die Hand. Aber ich war mit Danny zusammen und kurz davor, schwanger zu werden, und er war kurz davor zu heiraten. Es vergehen zwei weitere Jahre, bevor einer der anderen Köche des Restaurants mit mir ausgeht, obwohl er eine feste Freundin hat. Ich mag ihn, weil er mich Cosmo Girl nennt und sagt, mein Foto sollte in einer Zeitschrift abgebildet sein. Er ist gesellig. (Kurz davor hatte ich Tommy meinen Verwandten gegeben, und ich halte es nicht aus, allein zu sein.) Eines Abends betrinke ich mich auf einer Party und verliere das Bewusstsein, und der Koch gerät in Panik, weiß nicht, was er mit mir machen soll, zu Hause wartet seine Freundin. Der Sugar-Mountain-Mann war auch auf der Party und hatte dem Koch, der sein Freund war, seinen Hausschlüssel gegeben. Der Koch bringt mich also in das leere Haus und lässt mich da.
Als der Sugar-Mountain-Mann am nächsten Morgen nach Hause kommt, findet er mich in seinem Bett vor. Er nimmt es freundlich, lacht darüber. Nachdem ich mich angezogen habe, gibt er mir ein Glas Saft und legt Musik für mich auf. Wir sprechen den ganzen Nachmittag miteinander, bis es Zeit für mich ist, zur Arbeit zu gehen, in der Bar des Eisenbahnrestaurants. Er arbeitet da nicht mehr. Ich habe kein Auto, deshalb bringt er mich nach Hause. Mein Haar ist eine Lockenexplosion, weil ich auf der Party im Pool geschwommen war und mit nassen Haaren geschlafen habe. Vorsichtig versucht er, seinen zweiten Helm auf meinen Kopf zu setzen. Versucht, mir die Strähnen aus den Augen zu streichen. Lacht dabei. Ich sage, er soll in die Bar kommen, ich würde ihm ein Bier ausgeben. Das tut er. Drei Monate lang treffe ich ihn fast jeden Abend.
An manchen Nachmittagen arbeite ich in meinem anderen Job, als Verkäuferin im Merry-Go-Round, einem Bekleidungsgeschäft im Altamonte-Einkaufszentrum, ungefähr eine halbe Stunde nördlich von Orlando. Die Musik ist schrecklich, Disco, sehr munter. Ich verkaufe Clubwear für Männer und Frauen. Ich erzähle dem Sugar-Mountain-Mann, der Manager habe gesagt, ich sei nicht freundlich genug zu den Kunden, ich solle mich ihnen tänzelnd nähern, als wären wir in einem Club. Es ist so lächerlich – ich kann das nicht. Aber am nächsten Tag kommt der Sugar-Mountain-Mann in das Geschäft und besucht mich bei der Arbeit. Er ist nicht schüchtern, aber sehr zurückhaltend. Nicht laut oder extrovertiert. Als er von dem trübe beleuchteten Flur ins Geschäft kommt, schnipst er mit den Fingern und kommt tänzelnd auf mich zu. Ohne sich zu kümmern, was andere denken würden. Er tut es, um mich zum
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